USA: kippt mit der New York Times die USkrainische Heimatfront? Kriegswidersprüche in Washington

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(Eigener Bericht) – In einer bemerkenswerten Stellungnahme dringt eine der einflussreichsten US-Zeitungen auf Kurskorrekturen des Westens im Ukraine-Krieg – mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf Berlin und Brüssel. Die Vereinigten Staaten dürften nicht in einen lange andauernden, „umfassenden Krieg mit Russland“ gezogen werden, fordert das Editorial Board der New York Times.

Das Risiko einer unkontrollierbaren Eskalation sei hoch; auch werde sich die Kriegsbegeisterung in der US-Bevölkerung angesichts anhaltend hoher Inflation und dramatisch gestiegener Energie-, speziell Benzinpreise nicht lange halten lassen. Darüber hinaus zieht der Ukraine-Krieg wichtige Kräfte vom Machtkampf gegen China ab. Die New York Times wendet sich gegen Aussagen wie die Ankündigung der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die USA würden die Ukraine „bis zum Sieg“ unterstützen. Derlei Äußerungen haben auch Politiker in Berlin und Brüssel getätigt – so etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die erklärte, sie wünsche, „dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“, oder Außenministerin Annalena Baerbock, die erklärte, man wolle „Russland ruinieren“.

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Der Fehler vom April 2008

Kritische Äußerungen zur Politik der Vereinigten Staaten und des Westens insgesamt im Ukraine-Krieg hat es im US-Establishment schon kurz nach Kriegsbeginn gegeben. Bereits am 1. März publizierte etwa das einflussreiche Magazin The New Yorker ein Interview mit dem bekannten US-Außenpolitikexperten John Mearsheimer, der seit vielen Jahren die NATO-Ostexpansion und besonders die Pläne zur Anbindung der Ukraine an das Bündnis attackiert. Die Pläne seien für Moskau gefährlich und längst Ziel von Gegenmaßnahmen geworden, bestätigte Mearsheimer kurz nach Kriegsbeginn – ganz, wie es für Washington „selbstverständlich“ nicht in Frage komme, es einer „fremden Großmacht“ zu erlauben, Militär in einem „Land in der westlichen Hemisphäre“ zu stationieren.[1] „Alle Probleme“ hätten „im April 2008“ begonnen, als die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Bukarest der Ukraine und Georgien die Beitrittsperspektive eröffnet habe, urteilte der US-Experte; wäre dieser Schritt ausgeblieben, „dann wären die Krim und der Donbass heute noch Teil der Ukraine“, und es gäbe in dem Land wohl auch keinen Krieg.

„Dumme Politik“

Mearsheimer weist, den Hintergrund zu seiner Position erläuternd, darauf hin, dass er die NATO-Ostexpansion sowie den Willen, Russland damit zu provozieren, auch strategisch für eine Fehlentscheidung hält. Russland sei „keine ernsthafte Bedrohung für die Vereinigten Staaten“, konstatiert der US-Experte. Ein „gleichrangiger Konkurrent“ sei hingegen die Volksrepublik China. Die US-Politik in Osteuropa untergrabe nun aber „unsere Fähigkeit, uns mit der gefährlichsten Bedrohung zu befassen, der wir heute gegenüberstehen“ – mit Beijing. Wolle sich Washington in einer Konstellation mit insgesamt drei Großmächten – USA, China, Russland –gegen Beijing in Stellung bringen, dann müsse es Moskau auf seine Seite zu ziehen suchen. „Was wir mit unserer dummen Politik in Osteuropa getan haben, ist, die Russen in die Arme der Chinesen zu treiben“, erklärt Mearsheimer und hält fest: „Das verstößt gegen das kleine Einmaleins der Politik des Mächtegleichgewichts.“[2]

„Eine gefährliche Annahme“

Scharfe Kritik zwar nicht am prinzipiellen Kurs der US-Administration gegenüber Moskau, so aber doch an Washingtons aktuellen Kriegszielen hat in der vergangenen Woche die einflussreiche New York Times in einer ausführlichen Stellungnahme ihres Editorial Board geübt. Die Kritik der Zeitung, die sich noch Anfang März für die Unterstützung der Ukraine mit fast allen Mitteln ausgesprochen hatte – dafür werde die eigene Bevölkerung auch Einbußen hinnehmen müssen, hieß es [3] –, richtet sich nun darauf, dass Washington mit Blick auf empfindliche militärische Rückschläge für Russland inzwischen sogar auf einen ukrainischen Sieg auf dem Schlachtfeld setzt: eine „gefährliche Annahme“, wie das Blatt schreibt. Verteidigungsminister Lloyd Austin habe gefordert, Moskau solle massiv „geschwächt“ aus dem Krieg hervorgehen, ruft die New York Times in Erinnerung; Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, habe US-Unterstützung für Kiew „bis zum Sieg“ in Aussicht gestellt; Präsident Joe Biden habe gar geäußert, in Moskau solle Präsident Wladimir Putin „nicht an der Macht bleiben“.[4] Solch „kriegslüsterne Stellungnahmen“ trügen, vorsichtig formuliert, nichts zu einer Verhandlungslösung bei.

Risiken und Nebenwirkungen

Diese aber hält das Editorial Board der New York Times nun für notwendig. Die Nationale Geheimdienstdirektorin Avril Haines habe kürzlich gewarnt, der Krieg könne einen „stärker unvorhersehbaren und potenziell eskalierenden Verlauf“ nehmen, stellt die Zeitung fest.[5] Zugleich werde die US-Bevölkerung Washingtons Kriegsunterstützung nicht unbefristet billigen, heißt es mit Blick nicht zuletzt auf das Unterstützungspaket für Kiew im Wert von 40 Milliarden US-Dollar, das der US-Senat in der vergangenen Woche abgesegnet hat. Als Gründe für diese Einschätzung nennt die New York Times die andauernde Inflation, die zunehmend die Verbraucher belastet, und die in die Höhe geschnellten Energiepreise; laut einer aktuellen Untersuchung geben US-Haushalte aktuell 5.000 US-Dollar pro Jahr für Benzin aus – fast doppelt so viel wie vor einem Jahr (2.800 US-Dollar).[6] Ungenannt lässt die New York Times kriegsbedingte Rückschläge in Ostasien, wo etwa auf Taiwan die Hoffnung, sich im Fall eines Krieges mit der Volksrepublik auf US-Beistand verlassen zu können, mit Blick auf das US-Vorgehen im Ukraine-Krieg in den vergangenen Monaten eingebrochen ist (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

„Unrealistische Erwartungen“

In einen „umfassenden Krieg mit Russland“ gezogen zu werden, liege nicht in „Amerikas wohlverstandenem Interesse“, urteilt das Editorial Board der New York Times.[8] Dies aber könne geschehen, wenn im Westen oder in Kiew „unrealistische Erwartungen“ dominierten. Präsident Biden müsse seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj deshalb klarmachen, dass es „eine Grenze“ in der Frage gebe, „wie weit die Vereinigten Staaten und die NATO in der Konfrontation mit Russland gehen werden“ – konkret auch „Grenzen bei den Waffen, beim Geld und bei der politischen Unterstützung, die sie aufbringen können“. Es sei „unerlässlich, dass die Entscheidungen der ukrainischen Regierung auf einer realistischen Einschätzung gründen, welche Mittel die Ukraine zur Verfügung hat“ – „und wieviel mehr Zerstörung sie ertragen kann“.

Gegenläufige Forderungen

Die Forderung nach einem Kurswechsel ist in Washington kein Konsens; erst am Freitag bekräftigte die US-Botschafterin bei der NATO, Julianne Smith, die Biden-Administration strebe „eine strategische Niederlage Russlands“ in der Ukraine an.[9] Allerdings zeigt sie, dass einflussreiche Kreise in den Vereinigten Staaten das Risiko für hoch halten, in einem langanhaltenden, kostspieligen Krieg in Europa festzustecken – begleitet von wachsendem Unmut in der eigenen Bevölkerung und von Rückschlägen im Machtkampf gegen China. Schon jetzt sieht sich Washington genötigt, auf Dauer rund 100.000 US-Solaten in Europa stationiert zu halten – erheblich mehr als vor Russlands Überfall auf die Ukraine (60.000). Sie fehlen in Ostasien für den Machtkampf gegen China – und Washington könne genötigt sein, noch mehr nach Europa zu entsenden, sollten die NATO-Beitrittsaspiranten Finnland und Schweden in eskalierende Spannungen mit Russland geraten, wird berichtet.[10]

„Russland ruinieren“

Die Stellungnahme der New York Times richtet sich implizit auch gegen führende Politiker in Berlin und Brüssel. So hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang Mai erklärt: „Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt.“[11] Außenministerin Annalena Baerbock hatte bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn mitgeteilt, man wolle „Russland ruinieren“.[12] Auch im Bundestag erstarken Positionen, vor denen nun die New York Times warnt: Die Ukraine könne „diesen Krieg gewinnen“, erklärte Anfang Mai auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth.[13]

Mehr zum Thema: Waffenstellerkonferenz in Ramstein.

[1], [2] Isaac Chotiner: Why John Mearsheimer Blames the U.S. for the Crisis in Ukraine. newyorker.com 01.03.2022.

[3] The Editorial Board: ‘I Want Peace.’ Zelensky’s Heroic Resistance Is an Example for the World. nytimes.com 04.03.2022.

[4], [5] The Editorial Board: The War in Ukraine Is Getting Complicated, and America Isn’t Ready. nytimes.com 19.05.2022.

[6] Pippa Stevens: Rising fuel costs are a massive problem for business and consumers – Here’s why they’re so high. cnbc.com 19.05.2022.

[7] S. dazu Die NATO und Taiwan.

[8] The Editorial Board: The War in Ukraine Is Getting Complicated, and America Isn’t Ready. nytimes.com 19.05.2022.

[9] Camille Gijs, Hannah Roberts: Western allies ramp up rhetoric against Russia, want ‘defeat’ of Moscow. politico.eu 20.05.2022.

[10] Ellie Kaufman, Barbara Starr: US likely to keep 100,000 troops in Europe for foreseeable future in face of Russian threat, US officials say. edition.cnn.com 20.05.2022.

[11] Rede von Präsidentin von der Leyen vor dem Plenum des Europäischen Parlaments zu den Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine auf die Gesellschaft und die Wirtschaft in der EU – Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU. ec.europa.eu 04.05.2022.

[12] S. dazu “Russland ruinieren”.

[13] SPD-Außenpolitiker Roth: “Die Ukraine kann sogar diesen Krieg gewinnen“. rnd.de 05.05.2022.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Ein Gedanke zu „USA: kippt mit der New York Times die USkrainische Heimatfront? Kriegswidersprüche in Washington“

  1. Inflation — hohe Benzinpreise — pandemische Lage von nationaler Bedeutung auch noch nicht ganz ausgestanden — und zu guter Letzt droht nun auch noch eine Krise der Nahrungsmittelversorgung…

    Jaja, es gibt schon so Künstler! Die hohe Kunst christlicher Missionierung ist eben nicht, Eingeborene zu ernähren. Sondern sie hungern zu lassen. Wie es auch eben nicht die Kunst ist, Eingeborenenvölker pumperlgesund sein zu lassen. Sondern ihnen einzureden, der Tod lauere gleich um die Ecke. Um die chronische Gesundheit der gottlosen Heiden dann mit Impfkampagnen und anderen Medikamentengaben pharmakologisch zu ruinieren.

    Höchste Kunst der Heidenbekehrung aber ist es, all dies letztere alles mit allen von diesen sieben Milliarden Eingeborenen zu tun — auf einen Streich, gleichzeitig! Wo kämen wir denn auch hin, wenn sich der Irrglaube halten würde, man dürfe einfach so auf der Welt sein und sein unnützes Heidenleben leben, nicht!?

    Ja, doch, alle Achtung, da muß man schon sagen: Respekt! Ist hohe Kunst, diese Heidenmissionierung.

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