Sokrates-Projekt

Kinder als Werkstücke mit Qualitätskontrolle

Voraussetzung für einen optimalen Schriftspracherwerb ist auch hier eine beseere Ausstattung mit Personal und Material.
Entscheidend ist allerdings ein Umdenken der Lehrerinnen bezüglich ihrer Aufgabe, bezüglich der Kids.
In den betreffenden Schulen in Amsterdam und London scheint mir eine Sicht verstärkt zu werden, daß es sich bei den Kindern um Werkstücke und nicht um selbständige Subjekte handelt.
Werkstücke sind einheitlich zu bearbeiten. Es gibt Ausschuß-Produktion, bei genügend Kapitalpolster und optimaler Marktlage auch die Möglichkeit von Ausbesserungswerken, bei denen dann nur noch der völlig unbrauchbare Ausschuß auf dem Abfall landet.
Diese Kritik stützt sich noch nicht auf Hospitationen, sondern nur auf Eindrücke aus den Berichten der Kolleginnnen.
Diese Kritik ist zum größten Teil auch als Selbstkritik gemeint.
Sie richtet sich keinesfalls vordringlich an die Kolleginnen in den Nachbarländern, die in diese Situation gestellt sind , wie wir in die unsere.

Eurozentristische und schichtenspezifische Behandlung der Muttersprache

Notwendig erscheint mir eine intensive Auseinandersetzung mit Metin Alkans Thesen zur eurozentristischen Haltung der Schulen und Lehrerinnen gegenüber den außereuropäischen Muttersprachen. Er nannte sie auch gelegentlich rassistisch und kolonialistisch.
Ganz offensichtlich wird an unseren Schulen der muttersprachliche Unterricht an den Rand gedrängt, als Arbeitgemeinschaft zum frühen Erwerb einer Fremdsprache behandelt und im besten Falle als Grammatik- und Orthographieunterricht organisiert wie für deutsche und nichtdeutschsprachige Kinder der Deutschunterricht.
Statt die nichtdeutschsprachigen Kinder alle nicht explizit sprachfachlichen Probleme auch in ihrer Muttersprache behandeln zu lassen und dies zu fördern, wird die Verwendung der Muttersprache mit den an sie gekoppelten kognitiven Kompetemzen negativ sanktioniert.
Dabei ist die Herausbildung geschlossener grammatikalischer, semantischer Systheme in der eigenen Sprache ein wesentliche Grundlage für den Erwerb einer Zweitsprache über den tagtäglichen umgangssprachlichen Rahmen hinaus. Die Sensibilisierung für Grammatik und die entsprechenden logischen Gesetzmäßigkeiten.-richtiger wäre die umgekehrte Reihenfolge- , die Sensibilisierung für metasprachlichen Phänomene in der Muttersprache ermöglicht und ermutigt Transferleistungen in die Zweitsprache.

Politisch-historischer Exkurs: Die Entwicklung des Denkens wird durch die negative Saktionierung der Muttersprache behindert

Politisch und historisch zugespitzt stellt sich die Frage, wie Börne und Heine, Marx und Engels, Wernher von Braun und Wolfgang von Ardenne, Franz Kafka und zahllose Geistes- und Naturwissenschaftler in der Tschechei oder in Polen, in England oder Frankreich in nichtdeutschsprachiger Umgebung bei Verbot oder negativer Sanktionierung der Nutzung ihrer Muttersprache ihre wissenschaftlich-literarischen Werke hätten schaffen können. Auch die Hanauer Grafen ließen zu, daß sich die Hugenotten in ihrer Muttersprache an den Aufbau von Manufakturen und früher Industrie machten. Sie wußten möglicherweise intuitiv warum sie es zuließen.

Zugelassen wird eine ganz andere Nutzung der Muttersprache im heutigen Deutschland, wenn es sich um die herrschenden zentraleuropäischen Sprachen handelt. Schon allein wegen der Anwerbung europäischer Wissenschaftler seinerzeit für die Nuklearindustrie wurden besondere Schulen geschaffen, in denen sich das Begabungspotential des Nachwuchses durchaus muttersprachlich in allen Fachbereichen und in allen Altersstufen entwickeln durfte. Die o.g. Erkentnisse sind also überhaupt nicht neu. Nur finden sie keine Anwendung beim gemeinen Volk und besonders nicht bei Kindern aus den europäischen Peripheriestaaten und noch weniger, wenn es sich um Kinder aus den unteren Schichten außereuropäischer Staaten handelt. Keine Probleme bestehen wiederum bei dem Nachwuchs pakistanischer, saudiarabischer, usw. Wissenschaftler, wo ein Interesse an der Schaffung qualifizierter Absatzmärkte und wissenschaftlicher Kooperation besteht. Naturwissenschaftliche Deppen haben keinen Bedarf an deutschen High-Tech-Exporten. Zu diesem Zweck gibt es Goethe-Institute, deutsche Schulen im Ausland, Europaschulen und ähnliche Komfort-Einrichtungen und da spielt Geld so gut wie keine Rolle. Die untersten Anwender dagegen brauchen lediglich minimalste Kenntnisse, zur Not reichen auch einiges Verständnis für Piktogramme und etwas praktische Intelligenz.

Gründau. 29.05. 1997 0.45 Uhr
p.s. ich finde es schön, wenn die Arbeit der Gruppe sinnvoll verwendet wird, bin auch bereit weiterhin meinen Grips zu bemühen, nur fände ich es ebenso sinnvoll und angemessen, wenn die Leistungen der Gruppe nicht anonym verwurschtelt werden. Es sollte klar erkenntlich sein, wer hierbei seine grauen Zellen bemüht hat.

(p.p.s. auf Seite 7)
p.p.s. auf die Dauer ist es etwas ärgerlich mit Unterbringungs-kosten und -mühen, erheblich mehr als vertraglich vereinbarter Arbeitszeit, gedanklicher, beobachtender und schreibender Zeit in Vorlage zu gehen, ohne auch nur einen Pfennig Geld aus dem Sokratestopf erhalten zu haben, obwohl die Werkverträge schon längst unterzeichnet sind. Daß wir jetzt auch noch die Flüge nach London aus eigener Tasche vorfinanzieren sollen, läßt sich auch nicht mit dem höheren Gehalt deutscher Lehrerinnen erklären. Much input and very little output concerning the money.
Alles andere ist sehr spannend.
Trotzdem gilt: ohne Moos ist auf Dauer nix los.

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