Warum watscht der Dr. Seltsam den HaBE ab?

Als Antwort auf meinen Text für die AktionsGruppe Georg Büchners ( http://www.barth-engelbart.de/?p=697  /  http://www.georg-buechner.org/aufruf/ ) hat mich Dr. Seltsam aus der DEURO-Reichshauptstadt Groß-Berlin gerade Mal kurz abgewatscht:

” ich fürchte deine Werke haben vor allem einen mangel: mangelnde Treffsicherheit. sich nur ausdrücken wollen , drückt einen schnell auf das Niveau einer ausgedrückten zahnpastatube hinab. Ich schicke dir mal im Anhang was zur Frage Kunst als Waffe. vielleicht hilft es ja. Ansonsten habe ich jetzt, da du es ja nicht schaffst, mich aus deinem Verteiler zu streichen, diene mailadresse auf Spam gesetzt. Ciaou. Dr.Seltsam”
Er war bisher noch bei keiner einzigen meiner Widerstandsschreibungen, hat auch nicht beobachtet, wie Hanaus Taxifahrer meine Texte am Hauptbahnhof wochenlang bewachen und dafür sorgen, dass so wochenlang unzählige PendlerINNEN diese Texte nicht nur beim Schreiben mitlesen. Er hat mich auch noch nie bei meinen RegonalExpress- und Straßen-U-Bahn-Lesungen & Kabarettnummern beobachtet, war nie mit mir in Kiezkneipen in FFM oder in Hanau. Hat mit mir no ch nicht vor Werkstoren gestanden und mitgeschrieben und die KollegINNen dazu gehört…. Ich finde seine Kritik etwas ignorant und arrogant. Nichts desto trotz veröffentliche ich sie hier und auch seinen sehr lesenswerten Text zum Thema “Kunst als Waffe”. Anfragen wegen des copyrights kann ich ihn jetzt nicht mehr, er hat mich auf SPAM gesetzt. Er soll sich halt mailden, wenns ihm nicht passt. Wenn der hohe linke Herr mich schon so runterputzt, wie geht er dann erst mit noch weniger “talentierten” Menschen um?  Ich weiß, die Futterplätze im linken Kulturstall sind rar und da neigen eben manche Menschen dazu, neben sich blos niemanden an den Futtertrog zu lassen. Lieber Dr. Seltsam, keine Bange, die meisten Auftritte habe ich bisher benefizzt. (was aber auch für die Zunft nicht so förderlich ist, denn das versaut die Preise).

Zur Frage der Treffsicherheit möchte ich mich gerade mal selbst zitieren , aus dem bereits von mir und meinen MitschreiberINNEn auf über 25 Verse erweiterten Brecht’schen Kinderlied “Beiß, Bagger beiß!” hier die Strophe, die ich zusammen mit Kolleginnen von DUNLOP -Hanau geschrieben habe:

Die Kautschukpresse greift

zwei Finger ab und schleift

sie festgeklebt zur Walze

Du schreist aus vollem Halse

Die DUNLOP-Aktie reift

-weil sie –

auf Deine Finger pfeift”

Solche Lieder entstehen öffentlich und vor kurzem habe ich für solche Schreiberei  den LiteraturPreis der ABB-Belegschaft in Alzenau verliehen bekommen, weil ich sie mit meiner Leser-, Singer- und Schreiberei bei ihrem Warnstreik gegen die Abwicklung des Standorts Alzenau unterstützt habe.

 

Lieber Hartmut,
im Namen von allen Warnstreikenden der ABB in Alzenau bedanken wir uns bei Dir für Deine Unterstützung, Deine Lieder, Deine Gedichte.
Gäbe es doch mehr von Deinem Schlag.
Wäre die Situation nicht so dramatisch, traurig und ärgerlich, könnten wir fast schon sagen, es macht uns Spaß mit Dir gemeinsam warnzustreiken.
Bleib so wie Du bist.Deine AaaaBeeeBeeeler

Lieber Dr. Seltsam, in einem Brief an meine schreibenden KollegINNen, habe ich jetzt versucht, die Organisation von Widerstandslesungen und -schreibungen wieder anzuschieben.

Widerstands – Les- und – Schreibungen suchen Unterstützung, Nachahmung, SponsorINNen

Nicht nur Du bist da aktiv, andere sind es auch und wir sollten uns nicht gegenseitig niedermachen..  Schön, wenn Du mitmachen würdest. Die FreiDenker bekommen meine Vorschläge immer freihaus. Ich bin dort auch Mitglied.  Zu alledem gibts hier im aktuelles-Archiv Texte. Schaumerma

Im Vorgriff auf den SELTSAMEN Essay: meine Wortwerkstatt , die “Büchnerei” befindet sich im Hof eines der Hauptanführer der oberhessischen Bauernaufstände von 1830, Tobias Meininger, der mit seinen Kleinbauern in Mittel-Gründau mit Hilfe des schreibkundígen Dorflehrers Paul Nagel (verschollen 1831/32 in einem fürstlich Isenburg-Büdingen’schen Zuchthaus) die sozial-demokratischen Forderungen der Bauern gegen den und die Fürsten formulierte.
Durch seinen Hof “Bei’s Tobiase” wurde der “Hessische Landbote” auf den von Valentin Senger  in seinem Roman “Die Buxweilers” so vortrefflich beschriebenen Schmuggelpfaden der Landjuden und Straßenräuber von Offenbach nach Giessen geschmuggelt. Dass Georg Büchner und Weidig von Johann August Kuhl an die großherzöglichen und fürstlichen Verfolger verraten wurde und “die Bauern” dann die Stapel Flugschriften fast komplett an die Verfolger übergaben – wie das Dr. Seltsam so seltsam genüsslich beschreibt in seinem Essay “Kunst als Waffe”, liegt wohl an der von Dr. Seltsam bisher noch nicht erlittenen Folter und an der Tatsache, dass die Bauern ohne ihre bereits eingekerkerten Schriftführer den Landboten nicht lesen konnten. Und die örtlichen Pfaffen, Ärzte und Apotheker, die Mehrheit der Lehrer hätten ihnen solch aufrührerische Schriften auch nicht vorgelesen, sondern ihnen lediglich mitgeteilt, dass sie zur Hölle fahren, wenn sie das Teufelszeug behalten und sich noch vorlesen lassen …..Das ist heute nicht wesentlich anders mit den abgehenden HauptschülerINNen und anderen Halbalphabeten und schriftlichem politökonomisch-analytischem Werkzeug, den sogenannten ABC-Waffen……

HIER FOLGT JETZT noch Mal , weil es einfach so schön ist DIE KURZE ABWATSCHUNG HaBEs DURCH DR. SELTSAM:

” ich fürchte deine Werke haben vor allem einen mangel: mangelnde Treffsicherheit. sich nur ausdrücken wollen , drückt einen schnellauf das Niveau einer ausgedrückten zahnpastatube hinab. Ich schicke dir mal im Anhang was zur Frage Kunst als Waffe. vielleicht hilft es ja. Ansonsten habe ich jetzt, da du es ja nicht schaffst, mich aus deinem Verteiler zu streichen, diene mailadresse auf Spam gesetzt. Ciaou. Dr.Seltsam”

und jetzt sein etwas längerer Text:
Dr. Seltsam/Wolfgang Kröske

Kunst als Waffe, oder:
Der Künstler als Kleinbürger zwischen den Klassen
Marx – Gramsci – Bloch und andere.

Erstmals vorgetragen auf der Tagung der Erich-Mühsam-Gesellschaft in Malente am 18.Mai 2007

(Boa, ey, der Dr. is so was von belesen! Da kann ich nich mithalten!) und gelegentlich bei den Freidenkern zur Diskussion gestellt.

1

Kunst als Waffe – ein mythologisch wie historisch außerordentlich umfangreiches Thema: Schon die Mauern von Jericho im Alten Testament wurden durch den schrecklichen Lärm der Schofar-Hörner in ihren Grundfesten erschüttert und fielen einfach um (Josua 6). Musik als Waffe dient von den Luren der Wikinger über die Kakophonien der Janitscharen bis zum „Judenblut-vom-Messer-spritzt“ des Horst-Wessel-Liedes der Einschüchterung des Gegners, er soll durch Lautstärke, Misstöne und Brutalität von Gegröle und Text bereits vor Kampfbeginn so eingeschüchtert werden, dass er sich nicht mehr wehrt. Die friederizianischen Trommeln und Pfeiffen, die Kommando-Trompeten bis hin zur modernen Militärmusik haben das gegenteilige Ziel: Die dressierten Rekruten sollen bindlings ins gegnerische Feuer laufen und sich umstandslos töten lassen. Insofern ist schon jedes harmlose Marschmusik-Festival als Kriegshandlung zu werten und man sollte die unverbesserlichen Verrückten, die sowas als Zuschauer goutieren, unter friendly fire nehmen.

Aber nicht nur Musik erzeugt Zerstörung. Eine selten krasse Wirkung von Literatur berichtet das 4. Buch Mose: Als die aufrührerische Rotte Korah, dieselben Leute, die schon durch die Anbetung des Goldenen Kalbes von sich reden machten, dem ewigen Symbol für Kapitalismus und Mammon, wieder mal die einträglichen Priesterjobs des Volkes Israel für sich beanspruchen, spricht Mose ein Machtwort , „und es geschah, als er diese Worte ausgeredet hatte, da spaltete sich der Erdboden und verschlang alle, die Korah angehörten und ihren ganzen Besitz.“(4.Mose 16) Welch romantische Vorstellung: Wenn man diese Bösen Worte wüßte, könnte man sich im Frankfurter Bankenviertel positionieren und die heutigen Anbeter des Goldenen Kalbes im Erdreich versinken lassen, samt „ihrem ganzen Besitz!“

Beim Untergang von Sodom und Gomorrha verwandelte der starke Effekt der Feuer- und Schwefel-Eruptionen Lots Weib in eine erstarrte Salzsäule, eine Kunstwirkung, die das moderne Theater vergeblich zu wiederholen versucht, hier verwandelt die tobende Langeweile die Zuschauer höchstens in bebende Schnarchsäcke.

Gibt es also einen nachweisbaren Zusammenhang von Kunst und Wirkung, der über das geschmacklich-dekorative Unterhaltungsbedürfnis und Zeitvertreib hinausreicht? Im griechischen Altertum war die Vorstellung Allgemeingut, die Künste und das Geistige überhaupt besäßen die Macht, Menschen und Gesellschaften zu beeinflussen und zu verändern wie mit (Waffen-)Gewalt; die Griechen erfanden für alle Natur-Kräfte eigene Symbolgestalten, auch für die Künste: Die neun Musen, die im Gefolge Apollos auftraten, dem Gott der Schönheit. Kalliope symbolisierte die epische Erzählkunst, Melpomene Tragik, Thalia Komik auf dem Theater. Euterpe vertrat die Lyrik, Terpsichore Tanz und Chor, Erato die Liebesdichtung. Besonderes Pech traf die für Dichtung von Hymnen zuständige Polyhymnia in Deutschland: In Ost wie West wollte man nicht mehr die Urfassung der Staatshymnen singen, weder „Deutschland über alles“ noch „Deutschland einig Vaterland“. Auch der schöne Brechttext wurde bei der Vereinigung verworfen, so dass man hier immer noch nach der Melodie eines ehemals befeindeten Nachbarstaates öffentlich feiert, dem Kaiser-Quartett für Joseph I. von Österreich. Urania beschützte die Astronomie samt allen Schicksal deutenden Ableitungen, quasi die Muse der Zukunft, während mit dem Papyrus in der Hand Klio die Vergangenheit bzw. „Geschichte“ repräsentiert, was nebenbei die weise Einsicht vermittelt, dass Geschichtsschreibung keine objektive Größe ist, sondern eine Kunstform!

Die christliche Muse der Musik ist die Heilige Cäcilie, in der gleichnamigen Novelle erzählt Heinrich von Kleist die Bekehrung von Kirchendieben durch die „Gewalt der Musik“, – irgendwas muß also dran sein an der Vorstellung, dass man mit Sprache und Kunst, also mit virtuellen Mitteln, in die objektive Realität eingreifen könnte. In gewohnter Perfektion formulierte Karl Marx den objektiven Zusammenhang von Gedankenkraft und Gesellschaftsveränderung:

Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.
(MEW 1, S. 385)

Marx und Engels suchten unter den Kunsterzeugnissen ihrer Zeit diejenigen, die  Massen ergreifen und verändern könnten und sie wurden fündig im frech – revolutionären Volkslied: Die Freifrau von Droste-Vischering (1844), die zum heilgen Rock nach Trier ging, war Friedrich Engels Lieblingslied, es parodierte und bekämpfte den katholischen Aberglauben. Auch das missglückte Attentat auf den Preußenkönig wurde gefeiert und von Engels begrüßt:

„Die Angst der Herren vor dem Fürstenmord ist zu lächerlich. Sie oder ihre Väter haben doch alle gesungen:
Hatte je ein Mensch so´n Pech
Wie der Bürgermeister Tschech,
Daß er diesen dicken Mann
Auf zwei Schritt nicht treffen kann!
Damals (1846) hatte die deutsche Bourgeoisie allerdings noch Lebenskraft.
(MEW 36,S.470)

Soweit Engels in „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte“ (MEW 21) Engels liebte damals schon Heine, den „hervorragendsten unter allen deutschen lebenden Dichtern“ und Verfasser der „Schlesischen Weber“, das sich auf den Schlachtruf der Preußen im Jahre 1813 „Mit Gott für König und Vaterland“ bezieht, „eines der eindringlichsten Gedichte, das ich kenne.“ (MEW2, 513)
Zu den gewaltigsten Beispielen revolutionärer Kunst zählte Marx die Lieder des schlesischen Weberaufstands, die etwas von der Kraft des aufbrechenden Klassenbewußtseins widerspiegeln:

Zunächst erinnere man sich an das Weberlied („Hier herrscht am Ort ein Blutgericht, viel schlimmer als die Feme..“), an diese kühne Parole des Kampfes, worin Herd, Fabrik, Distrikt nicht einmal erwähnt werden, sondern das Proletariat sogleich seinen Gegensatz gegen die Gesellschaft des Privateigentums in schlagender, scharfer, rücksichtsloser, gewaltsamer Weise herausschreit. Der schlesische Aufstand beginnt damit, womit die französischen und englischen Arbeiteraufstände enden, mit dem Bewußtsein über das Wesen des Proletariats.
MEW Bd.1, S.404)

Mögen diese Beispiele von Volksliedern demokratischen Charakters die Empörungspotentiale des jungen proletarischen Klassenkampfes zeigen, so ist doch zu bezweifeln, ob diese Lieder selbst jemals Alarmrufe von unmittelbarer Wirkung waren. Sie sind Kunstmittel zur Aufklärung und zur Verfestigung des bereits vorhandenen Kampfwillens, aber Kunst als Waffe, als Trigger, als unmittelbar überzeugendes und mitreißendes Revolutionierungsmittel, als auslösender erster Schuß, – das denn wohl doch nicht. Noch viel weniger gilt das für die linksdemokratische lyrische Massenproduktion der Weerth, Freiligrath, Herwegh im 19. Jahrhundert. Sie wurden von fortschrittlichen Menschen gesungen, sie wurden verbreitet und geliebt, allein die direkte Mobilisierung zu Streik und Kampf musste durch Lebenserfahrung und politische Einsicht, also durch Mittel außerhalb der Kunst unternommen werden , –“immer ausgenommen die Marseillaise“ (Marx)–, jene blutrünstigste aller Nationalhymnen dieser Welt, die von Strasbourg aus das Elsass mobilisierte  gegen die feudalen Reaktionstruppen rund um den Kriegsrat Herrn von Goethe.

Die Kraft, von außen auf andere (feindliche) Menschen einzuwirken ist der uralte Traum aller Verzweifelten. Die Gefangene Ruth Klüger erinnert sich, wie sie im KZ Ravensbrück die Aufseherinnen zu beeinflussen suchte:

Wir kamen ihnen wohl wie Tiere vor, aber solche, die man brauchen konnte. Manchmal ging es mir durch den Kopf, dass man sie doch auf die gemeinsame Menschlichkeit aufmerksam machen könnte, durch Sprache zum Beispiel. Die müssen es mir doch anhören können, dass ich nicht anders bin als die Mädchen meines Alters, die sie draußen kannten… Und wenn ich dachte, man sollte doch mit ihnen ein vernünftiges Wort sprechen können, so lag in der Vorstellung die Phantasie, daß sich mit dem rechten Wort der ganze Spuk einfach auflösen würde. (R. Klüger, „Weiter leben“, S.148)

Der gequälte Mensch in seiner Verzweiflung sucht Linderung, der Schmerz soll aufhören, die Kunst soll wirken wie ein erhörtes Gebet, die Wirklichkeit soll sich ohne Kampf ändern. Wir erwarten also: Die Kunst soll Wunder tun! Aber gegen Menschen, die sich verschließen, hilft nichts. Gegen Faschisten hilft nicht das Kluge Wort, sondern die Rote Armee.

2

Untersuchen wir noch ein paar Produkte, Kunst im weitesten Sinne, ich meine die Zehn Texte, die die Welt veränderten:

Das Kommunistische Manifest erschien 1948 in Deutschland, als die Revolution schon vorbei war, seine eminente Bedeutung liegt nicht im Revolutionsaufruf, sondern in der aufklärerischen Wirkung auf die Arbeitermassen in der Folgezeit.

Charles Darwins “Entstehung der Arten durch Natürliche Zuchtwahl“ prägt bis heute das Weltbild der Moderne und bewegt Rassisten aller Kirchen und Kontinente zum sinnlosen Widerstand gegen die Evolutionstheorie, allein bei seinem Erscheinen gab es lediglich ein paar bissigen Apercus in der besseren Londoner Gesellschaft Raum: „ Na, Sie mögen ja vielleicht vom Affen abstammen, aber unser Geschlecht kommt nachweislich vom ersten Herzog von Marlborough her.“ Von Marx dazu übrigens der unvergleichliche Kommentar: “Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluß neuer Märkte, Erfindungen und Malthusschem Kampf ums Dasein wiedererkennt.“ (MEW 30, S.249)

Erich-Maria Remarque wollte mit dem Weltbestseller der Zwischenkriegszeit „Im Westen nichts Neues“ den Pazifismus befördern, auf dass nie mehr ein Mann freiwillig ins Feld ziehe. Allein die Nazis glaubten ihm und störten seine Filme und Auftritte mit Gewalt, aber nach dem zweiten Krieg musste er dem Kritiker Friedrich Luft Recht geben, der ihm in einem Interview vorwarf:
“Aber Ihr Roman hat ja gar nichts genützt!“ Damit steht er allerdings nicht allein, schon Aristophanes versuchte 411 v.Chr. mit der utopischen Komödie „Lysistrata“, die Frauen der im Kriege stehenden Staaten Athen und Sparta zur sexuellen Erpressung ihrer Kriegermänner zu bewegen, bis die endlich Frieden schlössen; auch das vergebens.

Die Nachkriegsentsprechung: Wolfgang Borchert forderte noch auf dem Sterbebett:“Sag Nein, wenn sie wieder Waffen fordern!“ Keine zehn Jahre später war die Wiederbewaffnung Adenauers über diesen höchst eindringlichen Apell hinwegmarschiert. Wie intensiv soll man denn noch schreiben, um Kriege zu verhindern? Nun, Schreiben nützt wohl nichts, wenn die entsprechende politisch-soziale Bewegung fehlt.

Nun die Klassiker: Luthers Bibelübersetzung hat die Kirche gespalten und das Ende des Feudalismus eingeläutet: Haben das nicht vielmehr die Heere des Dreißigjährigen Krieg getan!? – Hölderlin sah seine Gedichte als Waffen an in der Nachfolge der Französischen Revolution, allein: Sie haben keinen auf die Guillotine gebracht. – Georg Büchners Flugschriften „Der hessische Landbote“ (Friede den Hütten, Krieg den Palästen!) wurde von den zu agitierenden Bauern komplett bei den Behörden abgeliefert, ebenso wie sämtliche AGIS-Schriften, die die Rote Kapelle unter Hitler per Post blind verschickte. – Kleist verstand seinen „Katechismus der Deutschen“ als scharfes Schwert, aber es wurde nicht mal vom Feind für gefährlich gehalten.- Lenins „Was tun“? schuf die Partei, die Russland veränderte, aber ohne die Gelder aus Stalins Postraub, von Bebel und vom deutschen Generalstab hätte ihm die Presse gefehlt um die Revolutionierung der hungernden Massen durchzuführen.

Zur Historie die Farce: Der heute zurecht vergessene Dichter Hans Bender vermeldete in grenzenloser Selbstüberschätzung: „Mein Gedicht ist mein Messer.“ Na, hoffentlich gerät er damit in keine Rummelplatz-Stecherei, die Deklamation dürfte er kaum überleben. Aber wir wissen ja: das sollte bloß eine Metapher sein, – und wie genau sie leider trifft, wenn wir versuchen, mit literarischen Mitteln Kriege zu verhindern. Die husten uns was, die Soldaten. Wesentlich genauer, – aber er ist ein viel besserer Dichter-, trifft die Waffen-Metapher bei Kafka, denn der will nicht gleich die objetive Welt umhauen, sondern unser subjektives Befinden, und da stimmt es dann: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“

Peter Weiss, der mit dem Dokumentartheater „Die Ermittlung“ die Untaten des Faschismus auf die Bühne brachte und damit dem Auschwitzprozeß von 1962 erst den politischen Nachbrenner bei den deutschen Gymnasiasten zündete, hat damit mehr Antifa-Erziehung vollbracht als viele andere, aber selbst er bekennt bescheiden: Meine Kunst ist keine Waffe. Wenn diese eine ganze Generation aufrüttelnde Literatur schon nicht die Kraft eines Panzers hat, wie wenig bewirken dann erst die vielen schlechteren und schlapperen Werke im Angesicht der Kriegsgräuel.

Wie eine Streubombe wirkte das kleine Heft des Führungsmitglieds der Brasilianischen KP Carlos Marighela „Handbuch des Stadtguerillero“, der auch selber 1969 die ANA-Guerilleros von Sao Paolo bis zu seiner Ermordung durch die Polizei anführte. In Frankreich wurde das Buch sogleich verboten und dann doch durch zwanzig Verlage gemeinsam legal herausgegeben. In Deutschland
erschien es im Sommer 1970 am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, dann als Rowohlt-Taschenbuch (Nr.1453) mit einer unsäglichen Distanzierung von Herausgeber Freimut Duve als Vorwort: Die Stadtguerilleros in deutschen Großstädten „schaffen sich künstlich jene Unterdrückungssituation, in der die Entrechteten Lateinamerikas tagtäglich leben.“ Schließlich gab es noch eine gelbe Prachtausgabe im legendären März-Verlag von Jörg Schröder, der es als Nachdruck aus der Zeitschrift Trikontinentale aus Kuba vertrieb. Von dem nachmaligen RAF-Chef Andreas Baader wird berichtet, dass er eigentlich nur  ein Buch gelesen habe, „Der Weg nach unten“, die depressive Biografie von Franz Jung. Aber man kann davon ausgehen, dass das Handbuch seine eigentliche Bibel war, denn gemäß Marighelas Diktum „Existenzbasis des Guerilleros ist das Schießen“ hat Baader von 1970 bis zu seinem Ende die  Pistole praktisch nicht mehr aus der Hand gelegt. Man kann sagen, dass dieses Buch weltweit mehr tote Arschlöcher zu verantworten hat als jedes kommunistische Parteiprogramm.

Die mächtigsten Texte wirkten vor allem, weil durch sie Verrat begangen wurde: Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung war eine Kanonade gegen die englischen Königstruppen. Die Briefe des französischen Königs Ludwig XVI an die ausländischen Monarchen hatten genau dieselbe Sprengkraft wie eine Pistole direkt ins eigene Hirn gefeuert, der tödlichen Wirkung nur um Monate voraus. Vom Schlag der „Geheimrede“ Chruschtschows gegen Stalin 1956 hat sich der Kommunismus bis heute nicht erholt. Die Enthüllungen der pentagon papers 1971 im Vietnamkrieg und der 90.000 Lageberichte aus Afghanistan auf Wiki-Leak 2010 zählen als real verlorene Schlachten des US-Imperialismus.

Als weit wirkungsvoller und tödlicher als unsere besten lyrischen Gebilde erwiesen sich leider die reaktionären und faschistischen „Kunst – Waffen“. Die fiktive Verschwörung der „Weisen von Zion“ hat Millionen Opfer gefordert durch antisemitische Pogrome, von Rußland 1898 über Hitlers Mein Kampf bis zu kroatischen Ustascha-Nachdrucken im Jugoslawischen Bürgerkrieg; der brillante Comic-Autor Will Eisner hat 2005 in einer grafic novel die Gesamtgeschichte der realen Verschwörung zur Verbreitung der „Weisen“ eindrucksvoll nacherzählt, hoffentlich ist diese mörderische Fälschung damit für immer erledigt.

Die heute nicht mehr frei zugänglichen Nazifilme „Der ewige Jude“ und „Jud Süß“ haben nachweislich direkt zu Morden geführt, bei Bildungsabenden der SS in Auschwitz wurden die Bewacher davon so aufgehetzt, dass sie besoffen rausstürzten und Juden erschlugen. Nach der Premiere des Liebeneiner-Films „Ich klage an“ erhielt Reichskanzler Hitler Bittbriefe von Eltern, die um die Euthanasie-Tötung ihrer behinderten Kinder nachsuchten.

Als Josef Goebbels 1944 im Sportpalast fragte „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ und die tobenden Massen JAAA brüllten, antwortete Goebbels „Nun Volk steh auf, und Sturm bricht los!“, immerhin die begeisternden Verse des deutschen Dichters der Befreiungskriege Theodor Körner, der wohl im Grabe rotierte, hätte er diese Folgen seiner Worte erleben müssen.

Die „größte Verbrecher-Organisation der Weltgeschichte, die katholische Kirche“ (Deschner) hat mit dem Hexenhammer die pseudowissenschaftliche Vorlage zu Folter und Tötung von Millionen unschuldiger „Hexen und Ketzer“ verbreitet und angewendet.

Wie ein atomares Ferngeschoß wirkte die Rede von Papst Urban II. am 27.November 1095 bei der Synode von Clermont, mit der er die anwesenden Fürsten überraschend zur sofortigen „Befreiung“ Jerusalems verpflichtete, dessen muslimische tolerante Herrscher allerdings niemals den Zugang zum Heiligen Grabe Christi behindert haben. Als diese ersten Kreuzfahrer 1096 loszogen, wurden beiläufig zunächst die jüdischen Gemeinden am Rhein ausgerottet und bei der „Eroberung“ am 15.Juli 1099 wateten die frommen Ritter bis zum Knie im Blut der 80.000 friedlichen Einwohner Jerusalems. Diese  unvorstellbare Bestialität sollten wir Europäer niemals vergessen, die Muslime vergaßen es auch nicht.

3

Wenn wir nach der Wirkkraft von Kunstprodukten suchen, können wir die Frage nicht von den modernen Übertragungswegen trennen. Thomas Manns berühmte Reden über BBC nach Deutschland hinein sind Beispiele exzellenter Redekunst, der alliierte Soldatensender Calais versuchte unter Mitwirkung erstklassiger Künstler gutgebaute antifaschistische Propagandatexte unter den deutschen Soldaten zu verbreiten, um sie zur Aufgabe zu überreden. Die verschwindend geringe Anzahl von deutschen Überläufern, ca. 90.000 von 13 Millionen, nicht mal ein Prozent, zeigt das völlige Versagen dieser Kunstformen, ebenso wie die millionenfach abgeworfenen Übergabeaufforderungen mit angehängtem Passierschein und die direkten Propaganda-Ansprachen von Erich Weinert, Willi Bredel, Walter Ulbricht und den Kameraden vom Nationalkomitee Freies Deutschland aus den russischen Schützengräben heraus. Über LKW-große Lautsprecheranlagen wurden die schmissigen Songs von Ernst Busch abgespielt, deren Wirkung sich doch scheinbar niemand entziehen kann. Aber der Deutsche Soldat entzog sich, blieb unbeirrt seinen Schlächtern treu und ließ sich noch bis fünf nach zwölf von schrecklichen Marinerichtern à la Filbinger hinrichten. Dieses Nichtaufgeben selbst auf verlorenem Posten hat die Sowjetsoldaten immer wieder bis zur äußersten Erbitterung gereizt und in der Folge die bekannten Vergeltungsaktionen an der besiegten Zivilbevölkerung hervorgerufen. (Apropos Filbinger: Der wunderbare literarische Blattschuß von Rolf Hochhuth in seinem Roman „Eine Liebe in Deutschland“(1978), der den faschistischen Frömmler zum Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg zwang, gehört auf meiner ewige Bestenliste der Bücher mit Wirkung in die obersten Ränge. Es sparte der RAF Munition.)

Die einzige massenhaft verbürgte Wirkung von Radiomusik ist eine partiell friedensstiftende: Wenn zum Programmschluss der deutsche Soldatensender Belgrad das Lied Lili Marleen von Lale Andersen sendete, herrschte an den Fronten, wo das zu empfangen war, stets ein paar Minuten Waffenruhe, bis der Wahnsinn von Neuem losbrach. Überhaupt frappiert die offenkundige Wirkungslosigkeit sogar bei Texten, die speziell als „Waffe“ konzipiert waren. Von Klaus Mann wird kolportiert, dass er den Roman Mephisto geschrieben habe, um seinen Schwager Gustav Gründgens ins KZ zu bringen; wie man weiß, erfolglos. Oskar Maria Graf hatte mit dem ergreifenden Protest gegen die Bücherverbrennung der NS-Studenten am 10. Mai 1934, Verbrennt mich!, worin er das Verbot auch seiner Werke forderte, nicht mal ex negativo Erfolg, Das bayrische Dekameron und ähnliche Bauerngeschichten blieben gern verbreiteter Lesestoff in den Bibliotheken des Dritten Reiches. Weder Friedrich Wolfs Professor Mamlock noch Anna Seghers Das Siebte Kreuz, noch die gesamte Exilliteratur hatten irgendwelche messbare Wirkung bei der Herstellung oder Kräftigung der Anti-Hitler-Koalition.

Ich weiß natürlich auch, daß mit der Fragestellung „Kunst als Waffe?“ ein überhistorisches sehnsuchtsvolles Wünschen verbunden ist: Die fortschrittlichen revolutionären Künstler sollen bitte ein unfehlbares Wundermittel haben, welches das Erwachen der Massen aus dem feudalen Schlaf (Lenin) bewirkt, sie erleuchtet und ihnen als Richtschnur dient zur Änderung der repressiven gesellschaftlichen Wirklichkeit. Aber solche Veränderung durch Kunstmittel ist erfahrungsgemäß nur bei einzelnen Rezipienten erfolgreich. Erich Mühsam formuliert diesen Anspuch an sich selbst bescheiden 1928 in der Gebrauchsanweisung für Literaturhistoriker: „Färbt ein weißes Blütenblatt sich rot…ein einziges…-, so ist mein Werk nicht tot!“ Dabei fällt Mühsam die Rolle desjenigen Revolutionärs zu, der den wohl größten individuellen Erfolg hatte: Fast im Alleingang stürzte er am 7. November 1918 die 800 Jahre alte Wittelsbacher Dynastie, indem er in München von Kaserne zu Kaserne spazierte und die Soldaten zur Aufgabe überredete. Leider sind diese Reden nicht überliefert, sie reichen in ihrer Wirkung wahrscheinlich am ehesten an Moses Worte gegen die Rotte Korah heran. Aber da hat Mühsam politisch geschickt argumentiert und nicht Gedichte rezitiert oder gesungen. Eine direkte massenhafte Initialwirkung linker KUNST konnte ich bisher nirgendwo entdecken.

Wohl kann ich konstatieren, welche Kunstprodukte an mir und anderen Personen meiner Generation gewirkt haben: Zuallererst Die Mutter von Brecht, und seine Gedichte. Die Linken Klassiker Büchner, Heine, Peter Weiss. Dann die Lieder von Ernst Busch und Franz Josef Degenhardt. Mühsam, B.Traven, Tucholsky, Kästner und die verbrannten, vergessenen kritischen Autoren der ersten Jahrhunderthälfte. Als Plattenkonserve haben zwei völlig verschiedene Meisterwerke initial gezündet: Jimi Hendrix´Star Spangled Banner, dessen elektrische Gitarre die USA-Nationalhymne zu Bombenlärm und Kriegsgeschrei verzerrt und uns auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges zeigte, dass die avancierte amerikanische Jugendkultur die US-Kriegsverbrechen ebenso verabscheute wie wir. Zweitens die Lübcke-Platte: Die Große Koalition in Bonn hatte sich 1966 auf diesen etwas tumben sauerländischen Landwirt als Bundespräsidenten geeinigt. Die Redaktion des Satire- Magazins Pardon hatte Lübcke-Reden aus aller Welt gesammelt und mit salbungsvollen Kommentaren zu „retten“ versucht, was dem armen Trottel den Rest gab. Die politische Wirkung dieser „real-satirischen“ Ladung für die 68er Rebellion in Westdeutschland ist kaum zu überschätzen. Schuld war aber nicht eigentlich die Kunst, sondern die Bougeoisie selbst, die auf offenbar unfähiges Regierungspersonal nicht verzichten wollte, ein Fehler, der ihr von 1967-77 eine ganze Jugendgeneration entfremdet hat.

Am meisten an die Wirkung einer Waffe heran kam das Lied Grandola, das ähnlich wie die Kartuschen des Kreuzers Aurora der Oktoberrevolution, den Startschuß für die „Nelkenrevolution“ in Portugal abgab. Das etwas depressive Volkslied des Fadosängers Jose Afonso war unter der Salazar-Diktatur verboten, der Sänger ins Exil verjagt. In der Nacht zum 25.April 1974 sendete der katholische Radiosender Rinascita das Lied und gab damit das verabredete Kommando zum Ausrücken der antifaschistischen Putschtruppen. Ich hatte das große Glück, Jose Afonso mitsamt befreundeten Musikern aus den befreiten Kolonien und anderen Exilierten in einem bis heute legendären Event in Lissabon zu erleben, ebenso Jimi Hendrix auf Fehmarn bei seinem letzten Konzertauftritt, sowie Heinrich Lübke bei einer Rede auf dem Lübecker Markt – die Wirkung „live“ war bei den Portugiesen am größten. Vielleicht wegen der unbezweifelbaren Integrität des Künstlers, der im Exil gelitten hatte wie ein Hund und der wenige Jahre später ausgerechnet an Kehlkopfkrebs starb, der symbolträchtigen Krankheit verfolgter Künstler, denen das Wort im Halse erstickt wird.

Damit sind wir beim Zentralproblem: Der Person des Künstlers. Jeder Künstler fängt als Idealist an, sonst hätte er/sie gar nicht die Kraft zum Üben und Durchhalten. Wer aber mit seiner Kunst bloß Karriere machen will, wird das über kurz oder lang auch durch Verrat oder Anpassung zu erreichen versuchen. Wie erklärt sich die mangelnde gesellschaftliche Veränderungskraft oder der jämmerliche Absturz in den „Erfolg“ bis hin zum genauen Gegenteil der anfänglich erstebten Kunstwirkung? Dazu drei Beispiele, alle aus dem Bereich der Musik.

1. Der am meisten durch den Wolf gedrehte Künstler ist zweifellos Richard Wagner. Er begann als radikaler antifeudaler Revolutionär auf den Dresdener Barrikaden 1848, wo er gemeinsam mit Bakunin, dem „Satan der Revolte“ (Brupbacher) und dem späteren Hofbaumeister Semper als revolutionäres Fanal das alte Opernhaus in die Luft sprengte, das Semper später dann so grandios wieder aufbauen durfte. Wagner – wie Bakunin mit Todesstrafe bedroht – mußte sein Heil in der Flucht suchen und wollte nun die Gesellschaft mithilfe seiner  Kompostionskunst revolutionieren. Bald zum Hausnarren des verrückten Bayernkönigs avanciert und mit Subventionen fettgemästet, mutierte er zum Radau-Antisemiten und übelsten Autoritären, so dass heute seine Bayreuther Bühnenweihspiele als festliches Jahrestreffen von Altnazis und Großbourgeoisie gelten. Nicht genug damit, Lieblingskomponist der Hitlerpaladine zu sein, wurde sein Walkürenritt gerne zu Folterungen in KZs der US-Armee benutzt und, wie man in dem großartigen Film Apocalypse Now von Francis Ford Coppola erleben kann, vom Hubschrauber aus zur terrifizierenden Beschallung und Abschlachtung vietnamesischer Partisanen eingesetzt. Wohl selten kam Musik einer Waffengattung so nahe.

Aus einem Interview mit dem jüdischen Dirigenten Eliahu Inbal (Teatro La Fenice Venezia), der als erster Wagner und Schostakowitsch in Israel zur Aufführung brachte.
Frage: „Offenbar steht die künstlerische Persönlichkeit Wagners in Widerspruch zu seinem bürgerlichen Standpunkt. Glauben Sie, dass das Genie und die Gräueltat vereinbar sind?“
Inbal:“Wir können nie in der Musik hören, ob der Autor Kommunist oder Faschist ist. Es wäre absurd zu sagen, dass Wagners Musik antisemitisch ist. Ganz generell muss ich sagen, dass ein Künstler das allerletzte Schwein sein und trotzdem die größte Kunst erzeugen kann. In dem Moment, in dem er Kunst erzeugt, ist er in einer anderen Sphäre. Das hat mit dem Charakter, den Vorurteilen, der Intelligenz oder der Dummheit so gut wie nichts zu tun. Ein großer Künstler muss nicht unbedingt ein netter Mensch sein. Die meisten sind es auch nicht. Im Gegenteil: sie sind öfter extreme Egoisten und sogar Opportunisten.“
(Jüdische Zeitung, Berlin, 8/2007)

2. In der heute altersgichtigen Rentnerband The Rolling Stones kann man kaum mehr die einst härteste und am meisten auf Revolte ausgerichtete Gruppe der britischen Rockgeschichte erkennen. Im Gegensatz zu den Beatles, brav angepaßten Aufsteigern aus der Arbeiterklasse, propagierten die examinierten Akademiker Stones stets das Rebellentum der streetfighter  und die allseitige Befreiung. Dass sie damit so überaus viel Geld verdienten, führte späterhin zu  Drogensucht und Playboymanie, vorher tönte Michael Jagger noch: „Das Elend mit John Lennon ist, dass er einfach zuwenig Marx gelesen hat!“ Ihre Platten wurden zensiert, sie gaben Massen-Konzerte mit freiem Eintritt und versuchten auch sonst die elitäre englische Society durcheinanderzuwirbeln.
Seit 1995 ist Sir Michael Jagger Ehrenmitglied der London School of Economics and Political Science, wo er seine Examina einst mit „gut“ abschloss und in der Folge bewiesen hat, dass er wirklich was vom Reichwerden versteht. Das Hyde Park Concert 1969 kommentierte er noch: „Irgendwann kam der Punkt, wo wir den Leuten hätten befehlen können: Zieht euch nackt aus und stürmt den Buckingham Palace! und sie hätten es gemacht.“ Nun, die Stones haben das nicht gemacht, aber im Unterschied zu bloß erfolgreichen Bands haben sie es wenigstens ventiliert.

3. Richtig ernst mit der Revolte durch Kunst machte dann Anfang der Siebziger Jahre die Kreuzberger Anarchoband Ton, Steine, Scherben mit dem charismatischen Leadsänger Rio Reiser. Von der RAF ließen sie sich Texte diktieren, etwa Macht kaputt was euch kaputt macht, und der Rauchhaussong wurde nicht nur zur Hymne der Hausbesetzerbewegung, sondern auch selbst der Anlaß zur Besetzung. Wo die TSS Konzerte gaben, gab es anschließend Randale und Krawall, das gehörte zur politischen Vorbereitung der Auftritte. Um sich vor Zensur und Boykott der bürgerlichen Medien und Läden zu sichern, machten sie einen eigenen Plattenvertrieb auf, David-Volksmund-Produktion, der durch schlechte Zahlungsmoral der linken Kundschaft bald soviel Schulden hatte, daß sich Rio Reiser mit seiner unverwechselbaren klaren Stimme zur Solokarriere als Kitschsänger entschloß. Dieses Anpasserleben hielt er nicht lange aus, er wurde ein todessüchtiger Kokser und starb. Heroes die young. Die Rechte-Inhaber vermarkten seine Songs jetzt auf Teufel komm raus als Werbejingle beim Mediamarkt und mit dubiosen Nachspielbands. Das Schlimmste aber: Die frühen Rebellenlieder sind heute der absolute Hit auf Neonaziparties: Allein machen sie dich ein, Ich will nicht werden was mein Alter ist, Macht kaputt was euch kaputt macht…. Irgendetwas ist da wohl gewaltig schief gelaufen.

Eines hatten TSS im Unterschied zu den Stones richtig gesehen: Als wirkender Künstler muß man Teil einer Bewegung sein. Genauer hatte darüber schon Erich Mühsam nachgedacht und folgerichtig die Aktivierung des „fünften Standes“ versucht. Doch die Zuhälter und Zuchthäusler, denen er im Münchener Lokal Zum Soller revolutionäre Reden hielt, waren eher an dem gereichten Freibier interessiert als an der gereichten Wahrheit.

Bertolt Brecht entdeckte später (1935) die Fünf Schwierigkeiten beim Verbreiten der Wahrheit: Mut zur Wahrheit, Klugheit, sie zu erkennen; „3.Die Kunst, die Wahrheit handhabbar zu machen als eine Waffe.“ Damit war eine Darstellungsform gemeint, die die realen Klassenverhältnisse deutlich macht. Viertens die soziale Basis oder in Brechts Worten: „jene auszuwählen, in deren Händen die Wahrheit wirksam wird“, was auf eine Aufforderung zum organisierten Anschluß ans Proletariat hinausläuft. Dass man schließlich zur Verbreitung der Wahrheit sich strategischer List bedienen und die linke Propaganda undogmatisch in die herrschenden Diskurse einbauen muss, wenn man „Begriffe neu besetzen“ will, nennt Brecht an fünfter Stelle und damit hapert es bei der gesamten Linken bis heute. Aber selbst wenn wir das alles erfüllten, fehlte uns immer noch eine vergleichbare Medienmacht, um dem alltäglichen Manipulationsstrom aus Dummheit, Konsum und Kriegspropaganda eine minimale Aufklärung entgegenzusetzen. Das wäre Brechts ungenannte Nummer 6. Wirksame linke Massenmedien, eine moderne Arbeiter Illustrierte,  eigene Radio- und Fernsehsender, sind das dringendste Desiderat für eine neue Rebellionsbewegung.

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Wie Sie vielleicht wissen, unterhalte ich in Berlin-Kreuzberg im Wirtshaus Max & Moritz, einer traditionellen Versammlungsstätte der Arbeiter- und Aufstandsbewegungen (bis hin zur versuchten gewaltsamen Besetzung des leerstehenden Krankenhauses Bethanien in den Siebziger Jahren) eine kleine Showfabrik. Sie findet jeden Sonntag Mittag statt und heißt Dr.Seltsams Wochenschau. „Dr. Seltsam“ nach meinem Künstlernamen, den ich mir ausgesucht habe in Bewunderung für den besten Antimilitär- Film aller Zeiten, „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“ von Stanley Kubrick. Die Wochenschau ist das dritte oder vierte Projekt einer Reihe von Versuchen, mit
Mitteln der Kunst die politische Haltung der Zuschauer nach links zu rücken. Seit zwanzig Jahren versuche ich dies mit wechselndem Erfolg und denke, ich kann aus Theorie und Praxis einiges Konkretes dazu beitragen, unser Thema „Kunst als Waffe“ zu beleuchten.

Am ersten Maisonntag 2007 hatten wir unter anderen den Anmelder der Kreuzberger sogenannten „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ als Interview-Gast, den beliebten Kiezarzt Dr. Michael Kronawitter, der zuvor in den Berliner Boulevard-Medien als „Wegbereiter des Terrorismus“ samt erkennbarem Foto und Adresse zum Abschuss freigegeben worden war. Nun, ihm war nichts geschehen, und auch die „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ war ohne jedes Blutvergießen, ja sogar ohne zerbrochene Fensterscheiben oder verletzte Polizisten über die Bühne gegangen; einige Randale und Gewalttätigkeit hatte sich im Gegenteil erst in der Nacht entfaltet und zwar aus den Reihen der besoffenen Zuhörer des vom Bezirk organisierten Maifestes heraus. Nachdem vor zwanzig Jahren, am 1. Mai 1987, der Supermarkt Bolle am Görlitzer Bahnhof in Flammen aufgegangen war und die Demonstranten den Zugang von Polizei und Feuerwehr verhindert hatten, galt Kreuzberg als staatsfeindlich und unregierbar. Bei Wahlen bekam die Ordnungspartei CDU in manchen Kreuzberger Wahlbezirken unter 5 Prozent und wurde zur Splitterpartei, hier bekam mit dem ehemaligen RAF-Anwalt Hans-Christian Ströbele erstmals ein grüner Kriegsgegner ein Direktmandat für den Bundestag. Seitdem versuchten ein paar tausend Menschen jedes Jahr mit der revolutionären Maidemo die Erinnerung an Revolte und Randale wachzuhalten und seit fünf Jahren versuchen die Stadtteilregierungen von SPD, Grünen und Linkspartei gegenzuhalten und die traditionelle Mairandale in einem Meer von Bier zu ersäufen. Alle fünfzig Meter stehen Bühnen mit vollaufgedrehtem Equipment , die verhindern, dass sich irgendjemand überhaupt unterhalten kann geschweige denn revolutionäre Ideen verbreiten. Kunst als Waffe, eingesetzt um politisch unliebsame Parolen und Demonstrationen zu verhindern! Die Musik ist laut, aggressiv und schlecht, das Bier billig und die Nacht mild. Da fliegt dann schon mal eine Flasche in Richtung der zahlreich vorhandenen Beamten der Bereitschaftspolizei, die hier im Bezirk als gepanzerte Besatzungsmacht fungiert. Natürlich wurden die Veranstalter des Regierung – Myfests nicht als Chaoten und Gewaltapostel dargestellt, genauso wenig wie die Organisatoren der berühmten Berliner Loveparade, in deren Verlauf regelmäßig junge Menschen zu Tode kamen, erstochen, ertrunken oder dehydriert. So etwas bei einem linken Umzug und er wäre auf Jahrzehnte hinaus verboten worden. Im Interesse der unpolitischen Massenhysterie aber zählen solche Toten nicht. So wird Kunst buchstäblich zur politischen Waffe, aber nicht für Aufklärung und Fortschritt, sondern für Verdummung und Sozialberuhigung. Niemand braucht sich zu wundern, wenn 2010 bei der Loveparade Duisburg über ein halbes Tausend Raver verletzt wurden, bei Waffen-Einsatz gibt es eben „Kollateralschäden“…

Ich will Sie nicht mit Heimatgeschichten aus meinem Stadtteil langweilen, aber tatsächlich war das nördliche Kreuzberg, das nach dem alten Postzustellbezirk so genannte Kreuzberg 36, in den letzten zwanzig Jahren so etwas wie ein Soziallabor für Aufstandskunst und Gegenmacht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass in diesem Bezirk die ärmsten Gebiete von Westberlin lagen und eine Jugendgeneration nach der anderen ohne jede Aufstiegserwartung aufwuchs, gemischt mit wachen linken Studenten und politisch bewussten Aussteigern in den billigen Wohnungen. Jedenfalls war dieses Kreuzberg der Ideengeber für die internationale Modeszene. Es kamen die Berliner Stadtrundfahrtbusse und warben Touristen mit Gruselfahrten in finstere Kreuzberg-Slums. Dagegen sah man dann schlaue Kinder mit dem leuchtenden Hemdaufdruck „I am not a tourist, I live here“, wohl aus Belfast importiert. Die zerrissenen Punk- und streetfighter-Klamotten, die man zuerst und original auf der Oranien-Strasse sah, fanden sich drei Jahre später für vierstellige Summen in den Schaufenstern des KaDeWe und in London und Paris. Junge trend scouts aus gutem Hause standen bei den Straßenschlachten am Heinrichplatz daneben und fotografierten wie wild bis man sie für Polizeispitzel hielt. Viel schlimmer, sie waren Spione des Luxuskapitals und nur die Vorhut seiner weltweiten Ausbeutungsmethoden. Heute nähen Vietnamesinnen für Hungerlöhne nach Kreuzberger Mustern . Von der Gruppe MUZ, (das heißt „menschenverachtend und zynisch“ und war ein Replik auf die spießig-hilflosen Kampfparolen der ehemals linken Tageszeitung TAZ gegen die Kreuzberger Aufstände) wurde das frech bedruckte T-shirt als Kunstmittel erfunden, mit Aufdrucken wie “Staatsfeind“ oder „Schieß doch, Bulle“ und „Alles Nazis außer Mutti“. Minderjährige Punker mit verwilderten schwarzen Hunden und malerisch zerrissener Kleidung tauchten in großen Gruppen bettelnd erstmals hier auf. Die bunt besprayte Motorradlederjacke als Demoaccessoir war so tonangebend, dass sie die Hamburger Lederfabrik Hein Gericke vor dem Ruin gerettet haben soll. Später gab es hier die ersten deutschen Rapgruppen, heute sind die größten Medienkonzerne am Kreuzberg benachbarten Spreeufer angesiedelt. Früher gab es Sondereinsätze der Kripo gegen wildes Graffiti-Sprayen, „Unnütze Hände beschmieren Tisch und Wände“ wurde der Volksmund auf Warnplakaten zitiert. Heute gibt es Seminare für Manager, wo sie das Wände-Besprayen üben und das dazugehörige freie Feeling, das sie dann im Business so angenehm locker macht. Kunst als Waffe im Klassenkampf, um die Ausbeuter fit zu machen.

Auch in anderer Hinsicht kam es zum gegenseitigen Ideenklauen. Nachdem die Jugend der Welt bei der unpolitischen Loveparade die gewaltigen LKW-Trucks mit turmhohen Lautsprecheranlagen und Tanzbühnen bewundert hatte, lieh sich auch die Revolutionäre Maidemo das Geld für Riesentrucks zusammen, baute darauf doppelt so hohe Boxen und darauf sprangen und tanzten live die beliebtesten Szene-Bands wie Atari Teenage Riot herum und bewiesen so, dass die Linken auch technisch besser aufrüsten können als die dumpfen Technoprolls. Leider zerstörte ein unprovozierter Wasserwerfereinsatz der Polizei diesen Event, der Linken wollte man den techno-kulturellen Triumph nicht gönnen.

Genau andersherum lief es mit Gastspielen internationaler Bands. Noch in den siebziger Jahren, speziell nach dem faschistischen Putsch in Chile, war eine Musikveranstaltung mit ausländischen Bands automatisch eine Solidaritätsveranstaltung mit dem linken Widerstand weltweit. Im Kampf gegen die restriktive Asylpoltik entwickelte sich der Multikulti-Begriff zunächst eindeutig gegen nationale Engstirnigkeit und braunes Gedankengut. Es war der sehr kluge CDU-Kultursenator Volker Hassemer, der die geniale Idee hatte, Multikulti für seine Zwecke zu benutzen und gegen den linken Internationalismus einen rechten zu kreieren. Als erstes kamen Mitte der Siebziger Jahre Folkloregruppen aus Chile, die für Pinochet warben, dann buddhistische Tempeltänzer aus der Dalai-Lama-Schule, die den alten Feudalismus der tibetischen Priesterkaste wieder haben wollten. Der sogenannte „Karneval der Kulturen“ in Kreuzberg glänzt jedes Jahr mit farbenfrohen Tänzern aus aller Welt, aber ich vermute, wenn demnächst mal sozialistische Gruppen aus Venezuela, Kuba oder Bolivien  daran teilnehmen wollen, dann wird das liberale Mäntelchen bald abgeworfen. Hier wird nicht so sehr die Freundschaft mit dem Fremden propagiert, sondern vielmehr die Freundschaft mit Fremden, solange sie pitoresk und rückständig sind, also religiös, partriarchalisch, unterwürfig und arm.

Sie bemerken schon, ich kann diese Entwicklung nur mit äußerstem Zynismus ertragen, denn die verelendeten Urheber der neuen Moden haben von dem Boom überhaupt nichts abbekommen. „Not macht erfinderisch“, heißt es im Sprichwort, aber wo immer jemand etwas erfindet, steht ein Profiteur daneben und eignet sich die neuen Ideen marktgerecht an. Als Radikaler, dem es nicht gefällt, mit linker Produktivität und Fantasie nur die Macht des Kapitals zu stärken, suche ich verzweifelt nach dem „Ding“, das schlechthin nicht mehr integrierbar ist. Die RAF, 2. Juni, Terror und Gewalt schienen dieses Ding zu sein. Tatsächlich saß der entführte CDU-Chef Peter Lorenz in der Kreuzberger Schenckendorfstraße Nr. 7 im „Volksgefängnis“ und von Bommi Baumann bis Till Meyer waren einige sogenannte „Terroristen“ Kreuzberger Gewächse.

Aber wie man im Sommer 2007 zum dreißigsten Jubiläum von `77 bemerkte, gibt sogar diese Geschichte einen nie dagewesenen Medienhype her: Filme von Werbedesignern, in denen Baader im Kugelhagel als Westernheld stirbt, kriegen Medienpreise. Modelabel werben als „Prada-Meinhof“ mit nachgestellten Leichenfotos aus den Stammheimer Todeszellen, der Maler Richter bekommt Höchstpreise für seine verwaschenen Porträts von Gudrun Ensslin und Raspe. Nichts ist derzeit so hip und schick wie die RAF,es gibt Ausstellungen, Filme, Bücher, und die Modewelle rollt an und verharmlost und integriert den antikapitalistischen Ursprung der Gruppe. Auf der Oranienstraße gibt es eine Galerie, wo Klaus Theuerkauf und seine „endart“ geschmacklose Objekte ausstellen, die dem Kunstmarkt quer im Halse steckenbleiben sollten, Schleyer am Kreuz mit Erektion und sowas in der Art. Mittlerweile erzielen sie damit gute Umsätze auf Kunstmessen. Es gibt nichts mehr was sich nicht vermarkten läßt und wie schon Marx bemerkte: „Der Bourgeois verkauft noch den Strick, an dem er erhängt wird“. Die Zeitschrift Stern erreichte Höchstauflagen mit dem nicht copyright-geschützten leuchtendroten RAF-Stern mit der Kalaschnikov. Und möglicherweise wird demnächst ein schlauer Kapitalist daherkommen und sich das Copyright an diesem Logo sichern, ebenso wie der Udo-Jürgens-Manager Beierlein, der sich die brachliegenden Musikrechte an der „Internationale“ anmaßte und seitdem von Rußland bis Feuerland von jeder kommunistischen Veranstaltung Tantiemen einzuheimsen versucht. Man stelle sich vor, jemand hätte sich die Rechte an Che Guevara gesichert und würde sie weltweit durchsetzen, er wäre bald Milliardär wie die google-Gründer. Nebenbei ist in diesem Zusammenhang interessant, daß der weltweite Rechtehandel und Copyright-Fragen eines der Hauptthemen des G8-Treffens der Regierungschefs in Heiligendamm war. Früher hieß es bei Che Guevara: Verwandelt euren Hass in Energie!“, jetzt gilt: „Verwandelt euren Geist in Kapital!“

„Kunst als Waffe“ steht infrage und vor allem: Waffe für wen? Was kann man noch mit gutem Gewissen vertreten ohne dass man damit irgendwelchen kapitalistischen Profiteuren und Geschäftemachern in die Hand arbeitet? Noch ein paar Beispiele aus dem unendlichen Frustfundus, der sich in jahrzehntelanger Bewegungsbeobachtung bei mir angesammelt hat. Nochmal Heiligendamm: Wahrscheinlich hunderttausend Demonstranten aus aller Welt  haben sich auf eigene Kosten hier eingefunden und mehr oder weniger friedlich am Sperrzaun geknabbert, um mit ihrer Anwesenheit und ihrer Wut diese Tage zum Protest-Ereignis machen. Was aber um die Welt ging, war das Foto von dem Rockstar Bono zusammen mit dem Rockstar Grönemeyer vor dem Bild eines armen afrikanischen Mädchens, das sie wahrscheinlich nicht mal persönlich kennen: Alles ein gigantischer Werbehype der Plattenfirma, um ihrer alternden Zugnummer zu einer weiteren Platinscheibe zu verhelfen, – und zu gesicherten Einnahmen natürlich!

Das erinnert mich an die große Friedensdemonstration gegen den Irakkrieg in Berlin, auf deren Bühne die wackeren Alt-Barden Wecker, Wader und Reinhard Mey, der eigentlich noch nie als irgendwie fortschrittlicher Sänger aufgefallen ist, einen prima Start für ihre neue Dreier-CD feierten, von deren Gewinn meiner Kenntnis nach nichts an die kostenlos arbeitenden Organisatoren der Großdemo zurückgeflossen ist. Ich muss zugeben, in dieser Frage bin ich ein bisschen neidisch, denn von den jungen unbekannten Künstlern, die sich auf Berliner Kleinkunstbühnen seit Jahren um fortschrittliche Friedens-Kunst bemühen, wurde keiner gefragt. Der Großorganisator Diether Dehm von der PDS hat einfach sein Notizbuch gezogen und ein paar Bekannte angerufen, dann war das Programm schon fertig.

Natürlich gibt es noch ein paar Dinge, die nicht integrierbar sind, vor allem die nicht so berühmten und eindeutigen. Wenn ich für Dr.Seltsams Wochenschau Werbung mache, dann passiert es schon noch relativ häufig, dass Redaktionen sagen: „Das können wir nicht bringen“, oder dass Leute empört meinen Newsletter abbestellen, weil ihnen das eine oder andere Wort nicht gefällt, zum Beispiel „Kriegsverbrechen der Bundeswehr an der Brücke von Varvarin“ oder „Die Grünen als Hauptkriegspartei“ oder „Terror gegen Terroristen in Heiligendamm“. Aber ich bin natürlich nicht wirklich gefährlich und bei der großen Polizei-Aktion Wasserschlag, der Durchsuchung der G8-Gegner, wurde bei mir nicht mal geklopft.

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Es gab aber jüngst in Berlin einen bemerkenswerten Fall heimlicher Zensur, der in diesem Zusammenhang nicht uninteressant ist. Die Botschaft von Norwegen zeigte im alten Postmuseum eine Ausstellung über die Beziehungen zwischen Deutschland und Norwegen, also Quisling, Willi Brandt, Wilhelm Reichs Orgon – Automat, Wenke Myrrhe usw. Hauptstück der Show war ein 2 mal 3 Meter großes Gemälde von Odd Nerdrum, der als einer der bedeutendsten Gegenwartsmaler Nordeuropas gilt. Dies Gemälde hing im Rathaus Oslos und bildet jetzt das Prunkstück der halbstaatlichen Kunsthalle in Oslo. Es ist liebevoll und genau in der altmeisterlichen Manier von Caravaggio gemalt, mit viel Chiaroscuro drumherum, scharf beleuchteten Figuren, die ein Andreaskreuz bilden. Das Bild heißt „Die Ermordung Baaders“ und war den Berliner Kuratoren so peinlich, dass sie das bedeutendste Kunstwerk der Ausstellung nirgendwo abbildeten und den Botschafter wohl heimlich gebeten haben, es nicht zu zeigen. Aber Norwegen ist ein liberaler Staat und so hing das Bild zentral in der Schau und wurde prominent im Katalog abgebildet, dessen Druck die Norweger bezahlt haben. Nichtsdestotrotz hetzte die deutsche Kampfpresse, natürlich ohne das Bild zu zeigen, sie wissen genau, wenn sie die RAF nicht zur Verketzerung der Linken gebrauchen können, dann ist es besser, sie ganz zu verschweigen. In der Zeitung Die Welt bedauerte ein Lumpenjournalist namens Dittmar in diesem Zusammenhang sogar explizit das Fehlen einer rechten Kunst:

„Bereits 1977 malte der Norweger Odd Nerdrum “Der Mord (Andreas Baader)”: drei finstere Gestalten, die einen halb Bekleideten in die Knie zwingen, während ihm ein vierter ins Genick schießt. Die Aussage ist eindeutig. Weniger eindeutig ist der Zyklus “18. Oktober 1977”, den Gerhard Richter 1988 malte. Die 15 Bilder gehen von Polizeifotos der Verhafteten aus. Als Grisaille-Malerei, die sich mit Grauabstufungen und dem Verzicht auf Farben begnügt, werden diese Fotos vergrößert und durch “Vermalen”, also eine bewusste Unschärfe, der Realität entfernt. Der Maler geht also auf Distanz, ohne sich von dem Geschehen zu distanzieren – eine Methode, die auch unter den staatsnahen Protagonisten der DDR-Malerei beliebt war.
Hans-Peter Feldmann nähert sich mit den 100 Bildern der Serie “Die Toten” von 1967/1993 den Folgen des Terrorismus scheinbar dokumentarisch. Er addiert Bilder all derer, die ums Leben kamen. Das beginnt mit Benno Ohnesorg und endet mit Wolfgang Grams in Bad Kleinen, bezieht Ulrich Schmücker genauso wie Detlev Karsten Rohwedder, die Fahrer und Leibwächter der Ermordeten wie Geiseln und zufällige Passanten ein.
Diese Bilderfolge negiert jedoch, dass diese Toten sich keineswegs gleich sind, dass man sehr wohl zwischen dem Mörder und dem Ermordeten unterscheiden  muss. Es ist jene Gleichmacherei, die Noberto Bobbio mit dem Begriff “Egalitarismus” als Kennzeichen der “Linken” charakterisierte, während er das kritische Befragen des Gleichheitsideals den “Rechten” zuerkennt.
In der Praxis – bis hin zur “kritischen Theorie”, und davon geprägt sind vor allen die Medien und die Künste – herrscht allerdings jener “Egalitarismus” vor. “Der Geist weht links”, “Links wo das Herz schlägt” oder “Der Feind steht rechts” (Reichskanzler Wirths Schlusswort zur Ermordung Rathenaus) haben sich deshalb zu Schlagworten entwickelt…
Da sich Künstler gewöhnlich als “fortschrittlich” begreifen, spiegeln sich in ihren Werken eher “linke” Vereinfachungen als “rechte” Komplexitäten. Wer nach Gegenbeispielen “rechter” Kunst sucht, wird vergebens forschen. Mythisierungen à la Leni Riefenstahl, Thorak oder Breker gibt es nicht.
Die Künstler, die sich mit der RAF beschäftigen, wirken wie Schüler von Jacques Louis David, der als braver Diener der Revolution den ermordeten Marat zum Sinnbild erhob, so wie er später Napoleon glorifizierte. Das sind Kunstwerke, die plakativ der Politik nützten. Gemälde oder Skulpturen erzählen nicht, “wie es eigentlich gewesen”, sondern stets, wie es gewesen sein könnte, wenn nicht gar, wie es gewesen sein soll… Deshalb heißt, sich dem “Mythos RAF” mit Mitteln der Kunst zu nähern, die RAF zu mythisieren.
Zitat Ende. „Wer den Mythos sucht, webt selbst daran“ Von Peter Dittmar, Die Welt, 24.7. 2003.

Ach das wäre schön, wenn es so klar wäre: Die Künstler können nicht wissenschaftlich differenzieren und deswegen sind sie stets für „Das Einfache, was schwer zu machen ist“ und deswegen Anhänger des Kommunismus und der Revolution – aus Denkfaulheit! Das sieht in der Praxis dann leider doch etwas anders aus. „Kunst geht nach Brot“, weiß der Volksmund und jeder von uns könnte wohl ein ganzes Schock an Beispielen geben, wie ehemals linke Künstler ihre Ursprünge vergessen, weil sie Erfolg haben wollen. Das gilt natürlich nicht nur für Künstler; Politiker wie Josef Fischer sind das moderne Urbild des Wendehalses, und gerade unser verehrter Erich Mühsam ist eines der wenigen Gegenbeispiele dafür, wie ein Politiker und Künstler gleichermaßen unter allen wechselnden Umständen sich selbst treu bleibt und seine Grundhaltung gegen Macht und Kapital nicht ändert. „Sich fügen hießt lügen.“ Dafür geht man allerdings ins Gefängnis und in den Tod.

Dies ist der Moment, um an einen der eindrücklichsten Plakatanschläge der ´68er Bewegung zu erinnern. Über Bilder bekannter linker Revolutionäre war das prophetische Diktum von Max Horkheimer gedruckt, aus seinen Notizen „Dämmerung“:
Die Welt, in der die proletarische Elite heranwächst, sind keine Akademien, sondern Kämpfe in Fabriken und Gewerkschaften, Maßregelungen, schmutzige Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Parteien, Zuchthausurteile, und Illegalität. Dazu drängen sich keine Studenten wie in die Hörsäle und Laboratorien der Bourgeoisie. Die revolutionäre Karriere führt nicht über Bankette und Ehrentitel, über interessante Forschungen und Professorengehälter, sondern über Elend, Schande, Undankbarkeit, Zuchthaus ins Ungewisse, das nur ein fast übermenschlicher Glaube erhellt. Von bloß begabten Leuten wird sie daher selten eingeschlagen.
(Max Horkheimer, Notizen 1950 bis 1969 und Dämmerung, FfM 1974, S.  258)

Umso mehr sind daher die wenigen Künstler zu loben, die durch die Jahre auf ihre Weise der revolutionären Idee treu blieben, beispielhaft nenne ich hier den Westberliner Sigurd Wendland, dessen Grafiken „Vorbilder für die Jugend“ eine tieftraurige Ulrike Meinhof zeigen, einen anarchischen Marinus van der Lubbe (Reichstagsbrandstifter 1933) und andere schlechthin unverkäufliche Bilder  eines ansonsten erfolgreichen Oeuvres. Mein persönlicher Lieblingsmaler war Blalla W. Hallmann, der an den deutschen Auschwitz-Verbrechen so sehr litt dass er verrückt wurde. Der Göttinger Bernd Langer erstellte unter dem Label Kunstkollektiv KuK die Plakate für viele autonome Aktionen seit den 80er Jahren und schrieb Bücher über „Kunst als Widerstand“ die deutsche Revolutionsgeschichte 1918-23. Der Friedrichshagener Thomas J. Richter formt seit Jahren mit lustigen Tieren und sexuell aktiven Paaren das grafische Bild der linken Zeitung „Junge Welt“. Diese Aufzählung ist ungerecht, weil viele unbekannte tapfere Künstler fehlen.

Die Künstler bilden in unserer Gesellschaft keine eigene geschlossene Klasse, der eine erreicht mit TV-Shows Millionenumsätze, der andere hat oft nicht mal das Geld um Farben zu kaufen. Sie stehen in prinzipieller Konkurrenz zueinander und erkennen nur schwer gemeinsame Interessen und sind noch schwerer dafür mobilisierbar, das ist eine Lehre, die alle linken Bewegungen erfahren mussten.
Die meisten Künstler stellen aus eigenem geistigen Vermögen Unikate her, die sie wie ein Handwerker selbständig auf dem Markt verkaufen oder an Großhändler abgeben, für die meisten Künstler heißt mithin die Alternative: Selbstausbeutung oder ausgebeutet werden. Da sie zwar meistens ihre Produktionsmittel selbst besitzen, die Möglichkeiten der Betriebsausweitung und Monopolbildung aber sehr eingeschränkt sind, gehören sie weder zur Arbeiterklasse, die ihre Produktionsmittel nicht selbst besitzt, noch zur Kapitalklasse, weil sie fast keine Ausbeutungsmöglichkeiten besitzen. Solche Zwischenklassen oder Mittelklassen, sagt Karl Marx im Kommunistischen Manifest, werden zwischen den großen gesellschaftlichen Hauptklassen tendenziell zerrieben, werden in den Krisen ruiniert und gehen unter. Deshalb, sagt Clara Zetkin in dem sehr gescheiten Beitrag „Zur Intellektuellenfrage“, haben sie ständig  Angst vor dem gesellschaftlichen Untergang, den sie als individuellen erleben aber als gesellschaftlichen ideologisieren und verhalten sich deshalb wie ein Schilffeld im Winde. Wenn der Wind von rechts weht, werden sie rechts, wenn der Wind von links weht, werden sie links, vielleicht wegen gewisser berufsbedingter Sensibilitäten etwas früher als andere Opportunisten. Laut Gorki, „Die gesellschaftliche Stellung der Kleinbürger“, werden die gefährdeten Mittelklassen so zur Manövriermasse im Klassenkampf,  typisch bleibt das Ergebnis der prinzipiellen Unzuverlässigkeit und Unberechenbarkeit des Künstler- und Kleinbürgertums, im Unterschied etwa zur Arbeiterklasse, die die Aufhebung des Kapitalismus anstreben muß um zu existieren und im Gegensatz zur Kapitalseite, die immer höhere Profite und Kriege braucht, um als Manager im Geschäft zu bleiben und die Kapitaleigentümer bei Laune zu halten. Sofern sie, die Künstler, nicht super erfolgreich werden und dann mit den erzielten Marktpreisen selber Aktien kaufen und Kapitalisten werden, was aber nur wenigen gelingt, haben die Künstler also als „Klasseninteresse“, wenn man das so sagen darf, das Bündnis mit der revolutionären Arbeiterklasse, um eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unbildung, Krieg und Inhumanität herzustellen, kurz: ein Leben, in dem man die Wahrheit sagen und die Künste pflegen darf.

Die meisten Künstler schielen aber zur Bourgeoisie hinauf und wollen mit der Arbeiterklasse nichts zu tun haben, weil sie ungebildet ist, ihre Kunstwerke nicht versteht und nach der Revolution benutzt, um „in die Blätter mit den schönsten Gedichten Fische für arme Mütterchen einzuwickeln“, wie Heinrich Heine befürchtet hat. Heine zum Beispiel war aber dennoch Kommunist, weil er von der „einfachen Prämisse ausging, dass alle zu essen haben müssen, daraus folgt alles andere“. Der Künstler, solange er für Erfolg und Aufstieg in die Bourgeoisie arbeitet, ist für die Revolution unbrauchbar, der Künstler als Revolutionär entspricht aber eigentlich seiner objektiven Interessenlage. Warum die Künstler das meistens nicht so sehen, erkärt uns Ernst Bloch mit seiner Theorie der Ungleichzeitigkeit. Zwar bestimmt das Sein das Bewußtsein, das ja, aber nicht sofort und unmittelbar. In die Vermittlung der objektiven Interesssen schummeln sich Illusionen ein, falsche Hoffnungen über die eigene Lage, Versprechen, Bestechungen und Ideologien der herrschenden Klasse sowie Dummheiten, Subjektivismus und abschreckender Terror der Revolutionäre. Das alles führt am Ende dazu, dass der Künstler stets „schwankt“ und deshalb nicht so recht als Revolutionsführer geeignet ist, was er aber nur zu gern wäre. Ich denke hier an die schöne Geschichte von Erich Mühsam, der den Dichter Rainer Maria Rilke  auf eine Revolutionsversammlung der Münchener Arbeiter begleitet, wo dieser sich aber „nicht kommunikativ realiseren konnte“, wie Rudi Dutschke sowas später zu bennennen pflegte. Soweit hier in aller Kürze und holzschnittartig, wie ein orthodoxer Marxist das Künstlerproblem sieht. Eigentlich wäre bei dieser Einschätzung Schluss und die Künstler wären vom Fortschritt ein für alle mal wegen Unzuverlässigkeit ausgeschlossen.

Aber dann erschien die Hegemonie-Theorie von Gramsci und zeigt uns weitreichende Perspektiven. Die beiden Richtungen oder Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat, Arbeiter und Kapitalisten, Fortschritt und Reaktion, egal wie man sie nennt,  bilden quasi die zwei Pole eines Magneten, zwischen denen der Überbau, Zivilgesllschaft und Kultur, hin und hergerissen werden. Mal überwiegt die eine, mal die andere Seite, aber nicht vollständig, sondern es gibt immer Bereiche, in denen die Elemente ummagnetisiert werden können wie Eisenmoleküle in den Feldlinien eines Magneten. Es geht also, sagt Gramsci, um „molekulare Veränderungen der Zivilgesellschaft“. Mithin kann man auch zu Zeiten des vollständigen Sieges der Reaktion immer noch kleine Erfolge der Fortschrittskräfte erreichen, und zwar auf dem Gebiet der Kultur, der Bürgerinitiative, Ideologie und Kunst. Solange nicht die ganze Macht der Reaktion im Bürgerkrieg alles plattwalzt, lassen sich Teile der Zivilgesellschaft entwickeln, und die Linken müssen sogar hier erst viele Siege erringen, um überhaupt die Mehrheit der Gesellschaft zu gewinnen und der Revolution näherzukommen. Und, so springt nun das Kaninchen aus dem Hut des marxistischen Zauberers, im Zentrum dieser Bemühungen steht der Künstler! Es ist mithin Pflicht der Linken, auch wenn sie eigentlich nur auf die Macht der Arbeiterklasse schielen, eine linke Kultur-Hegemonie zu entwickeln, wie wir sie in den Jahren nach 1968 vielleicht mal hatten, wo an den Universitäten keine einzige Seminararbeit angenommen wurde, die nicht eine fundierte marxistische Warenanalyse enthielt, und zwar in allen Fächern. Dafür erlebte man dann aber auch Geschichten wie sie mir der Menschenrechtsanwalt Eberhardt Schulz mal erzählt hat, der bei einer Ungelegenheit auf einem Dorfe von dem Bürgermeister Unterstützung erhielt mit der Bekundung: „Aber wenn sie dann an der Macht sind, dann denken Sie an uns…“ So soll es sein; das ist Kultur- Hegemonie.

Ich bin jetzt am Ende mit meinem kleinen Beitrag zur Klassenanalyse, es mag Ihnen manches holzschnittartig dogmatisch erscheinen, jedenfalls haben wir erstmal einen großen „Steinbruch“, um aus vielen Richtungen über Künstler zwischen den Klassen diskutieren zu können. Zum Abschluss noch drei Beispiele, die mir immer das Problem der „unpolitischen Kunst“, bzw. von Anpassung und Widerstand musterhaft beleuchteten:

1. Paris: Edith Piaf war als Chansonsängerin auch unter der Nazibesatzung nicht verboten, die SS forderte sie sogar auf, für die Bewachungsmannschaften ein Konzert im Kriegsgefangenenlager zu geben. Sie nahm dieses wahrhaft unsittliche Angebot an, brachte aber ihren Fotografen mit, der von den Gefangenen schöne scharfe Bilder machte, die dann der Resistance zur Erstellung falscher Ausweise dienten, damit ihre Kader aus dem Lager fliehen konnten. -Auch die „entartete Kunst“ eines Pablo Picasso wurde nicht, wie in Deutschland, unterdrückt und zerstört, es gab sogar ein reges Kommen und Gehen etwas intelligenterer deutscher Besatzungsoffiziere in seinem großen Atelier am Montmartre, wo er an seinem Riesenwerk „Guernica“ arbeitete. Einem Besucher wurde das Bild vorgeführt und ergriffen von der neuartigen Formgewalt staunte er: „Das haben Sie gemacht?!“ – „Nein,“ sagte Picasso zu dem deutschen Fliegeroffizier, „das haben Sie gemacht…“

2. Einer meiner vielen Versuche, linke Kunst zu machen, hieß Le club existentialiste und basierte auf dem Versuch Sartres, den Marxismus für die moderne Zeit wieder nutzbar zu machen. Ich ließ ehemalige Partisanen wie Gerhard Leo auftreten, die entgegen der allgemeinen Erwartung das jugendliche Publikum zu Tränen rührten. Die jungen Sänger und Chansonnieres hatten aber keine politischen Lieder vorrätig und lehnten das auch als Zumutung ab, dann stellte sich aber heraus, dass sie sehr wohl alte Partisanenlieder kannten oder den Déserteur von Boris Vian, sie waren ihnen nur nicht als politische Lieder bewusst oder hatten die antikommunistische Nachkriegszeit als Kinderlieder überlebt. Es hatte nur keiner danach gefragt. Ebenso erging es mir mit einem ganz biederen Zuschauer aus Steglitz, der sich in meine Show verirrt hatte und der mir am Ende unter vier Augen gestand, dass „auch er immer zur Roten Fahne gehalten habe“, das nur seiner Familie nicht zumuten wollte.  Es musste nur einer deutlich die Fahne schwenken und sofort kamen andere dazu, das kann ich heute als meine beste politische Erfahrung bezeichnen, und das ist schließlich fast dasselbe wie Gramsci sagt.

3.Heute (18. Mai 2007) ist der 100 Geburtstag von Herge = Georges Rémy, dem bedeutendsten europäischen Comiczeichner, dem in Frankreich und Belgien ganze Häuser, Straßen und Museen gewidmet sind. Er kam aus der katholischen Pfadfinderschaft und hat fürchterliche antisowjetische Machwerke zusammengemalt, so etwa „Toto in Russland“. Er war lange Zeit, so muß man es wohl analysieren, ein klerikalfaschistischer Propagandist, der auch für Leon Degrelle Illustrationen zeichnete und unter der deutschen Besatzung in einem Pronaziblatt arbeitete und deswegen vom Widerstand nach dem Krieg als Collaborateur erschossen werden sollte. Er wurde gerettet, weil sich einer der Resistanceführer seiner annahm und sagte, dass seine Tim-und Struppi-Streifen für die inhaftierten Kämpfer das einzige in den Nazizeitungen gewesen sei, was sie lesen konnten ohne sich zu ärgern und das sie Tim als einen der ihren verstanden hätten und dort untergründige Botschaften gefunden hätten. Herge kam frei und veröffentlichte noch viele Comicbücher, darunter Tim und die Picaros, was man als humorvolle Hommage an Che Guevara lesen kann. Das typische „Schwanken“ des Künstlers sehen wir in „Tim im Lande des schwarzen Goldes“: in der ersten Fassung von 1936 gibt es eine Gruppe jüdischer Terroristen, die den Reporter Tim in Haifa entführen, in der Fassung von 1968 kommt das nicht mehr vor, offenbar waren die Erben Herges der Meinung, es sei für die Leser heute unwichtig, mit der Tatsache konfrontiert zu werden, daß es jüdischen Terroristen gibt. Ich hielt das nicht für unwichtig, im Gegenteil verdanke ich dieser Stelle der gesamten Comicliteratur, die ich als Kind las, mein anhaltendes Interesse für die Fragen von Kunst und Politik, insofern ist quasi Herge schuld an diesem Vortrag heute, vielleicht, wenn er das erführe, keine schlechte Ehrung zum Geburtstag eines großen Künstlers, der angeblich politisch völlig unbewußt und wirkungslos war.

4. Ich erlaube mir viertens, sozusagen als Bonustracks, einen Beitrag von mir zum Heinrich-Heine Jahr 2006 anzufügen, der das Problem „Kunst und Revolution“ noch tiefer beleuchtet. Er passt sehr gut, weil mir bisher keine stärkeren Waffen im Kampf vorgekommen sind als Heines bissige Satiren, deren Wirkung auch Erich Mühsam stets als Vorbild im Auge hatte. Danach ein weiteres Beispiel aus meinen Arbeiten zum Thema „Kunst als Waffe“, bei dem Ihnen vielleicht ein wenig schlecht wird. Sei´s drum.

Heines Kommunismus

Wir hatten im Jahre 2006 erstaunlich viele Jubiläen, in deren unterschiedlicher Behandlung das bürgerliche Feuilleton mal wieder beweisen konnte, auf wecher Seite es steht. Statt des mit der Revolution spielenden Mozarts, der einst den verfolgten Beaumarchais-Figaro propagierte, wurde uns der am Tourette-Syndrom erkrankte Furz-Liebhaber als kotzsüße Mozartkugel eingebrandauert. Der ungetreue Doktor Benn wurde wieder mal gegen Brecht und wiedermal gegen die gesamte Emigration in Stellung gebracht, während das in einzigartiger Schändlichkeit dastehende KPD-Verbot gleich ganz vergessen wurde. Schreckliches Freud-Jahr 2006, das soviel Verdrängung bot bei sowenig Analytik. Am schlimmsten aber erging es Heinrich Heine. Man dachte, nach der Barbaren-Posse der Nazis, die die „Loreley“ anonym im Lesebuch behalten, den Judendichter aber vergasen wollten – leider war er schon tot -, und nach der bundesdeutschen Blamage um die Benennung der Heine-Uni in Düsseldorf wäre der wohl größte deutsche Dichter endlich auch in seiner Heimat anerkannt und es könne schlimmer nicht kommen. Weit gefehlt; jetzt ist der arme Harry auch noch am Stalinismus Schuld! Erfunden hat diese nur freudianisch zu erkärende Ferkelei ein Schreiber, der von Heine alles kopiert hat außer Charakter: Wolf Biermann. Im Spiegel 7/06 schrieb er über „Heine und Le Communisme“ und offenbar versteht er von beidem nichts:

„Hellsichtig ahnte er (Heine), dass die soziale Gleichheit aller Menschen wahrscheinlich nur eine neue Form raffinierterer Ungleichheit gebären würde,… ein noch schlimmerer Kreis in der irdischen Hölle…In „Lutetia“ klagte er: „Eine unsägliche Betrübnis ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnung von dem Kommunismus bedroht ist.“ Aber dann kommt die flagellantische Volte, für die ihn die stalinistischen Bonzen liebten: „ Gesegnet sei der Kräuterkrämer, der einst aus meinen Gedichten Tüten verfertigt, worin er Kaffee und Schnupftabak schüttet für die armen alten Mütterchen, die in unserer heutigen Welt der Ungerechtigkeit vielleicht eine solche Labung entbehren mussten – fiat iustitia, pereat mundus!“…Aber: Es kam alles viel schlimmer, und es musste so kommen. Die arme alte Frau und ihre Kinder wurden einfach totgeschlagen. Im real existierenden Kommunismus brauchte kein Untertan mehr Gewürze, denn es gab hinter Stacheldraht für Millionen gar kein Huhn im Topf, das gewürzt werden müsste.Die Häftlinge in den Arbeitslagern tranken keinen Kaffee…und
manche schlachteten im Wahnsinn des Hungers heimlich ihre krepierten Leidensgefährten, zum Fraß. Ideologisch verblendet…Brecht, Bloch, Gerhart und Hanns Eisler, Feuchtwanger, Heinrich Mann, denen es gelungen war, sich vor den Genossen Hitler und Stalin in Sicherheit zu bringen… Mir träumte, Heine sei ein Häftling auf der Insel Kuba…in einem grausam verdrecktenKnast des Castro-Regimes, Abteilung „Staatsfeindliche Poeten“…Ich sagte: Lieber, verehrter Monsieur Heine, Sie sind doch der Verfasser der Verse…, hoffen Sie immer noch auf einen Kommunismus mit Zuckererbsen für jedermann“ ?

Wie ist das dümmlich, zynisch, anbiederisch. Man muss sich unter kulturnahen Menschen mit Erinnerungsvermögen heute entschuldigen, Biermann zu zitieren, noch dazu im Kontext mit Heine. Aber das war es wohl, was der nationalistische Konvertit mit seiner ödipalen Anpisserei erreichen wollte. Heinrich Heine kannte seine Biermanns und hat sie schon vorsorglich und rechtzeitig abgewatscht:

„Aus Hass gegen die Parteigänger des (teutonischen) Nationalismus könnte ich fast den Kommunisten meine Liebe zuwenden, wenigstens sind sie keine Heuchler.“ So lautet eines der dialektisch formulierten Distichen aus Heines „Lutetia“. In diesem Buch, worin er dem deutschen Publikum das revoltierende Frankreich erklärte, unternahm er den weitesten intellektuellen Vormarsch gegen die herrschende Front aus feudaler Reaktion und feigem Kleinbürgertum. Es geht damals wie heute um „Klassenverrat“, die zentrale Kategorie fortschrittlicher Kunst im Kapitalismus. Die Künstler wollen essen, die Bourgeoisie bezahlt – so einfach ist unter normalen Umständen das Verhältnis.

Aber seit Gramscis Gefängnisschriften wissen die Linken genauer, dass es auch zu Zeiten großer revolutionärer Schwäche möglich ist, auf dem Gebiet der Kultur linke Siege und sogar eine linke Hegemonie im öffentlichen Diskurs zu erringen, falls nur die Mehrheit der Intellektuellen „vorzeitig“ auf die Seite der Revolution übergeht: Weil nämlich die Kunst ihre Zahlherrn nicht mag und frei sein will, befreit von Armut, Zensur und der bürgerlichen Zumutung der Verwertbarkeit. Lügende Künstler sind ein Widerspruch in sich, von Ausnahmen wie Biermann und dem ganzen Dreck im Fernsehen mal abgesehen. Heine hat auch zu seiner Zeit solche „Künstler“ gekannt, miese Anpasser, die um kleinen Vorteils willen sämtliche intellektuellen Klasseninteressen verraten, Wahrheit, Qualität, Integrität, als hätte er sie prophetisch vorausgesehen. Der Grund ist, dass wir immer noch in derselben Gesellschaftsstruktur leben und deswegen auch die Gesetze von Überleben und Verrat dieselben sind. Die individuelle Lösung kann ein ehrlicher Künstler, das ist das Thema von „Lutetia“, nur im Bündnis mit den Armen suchen, wenn und soweit sie revolutionär sind. Und obwohl Heine niemals materiell Hunger litt und sein „Übergang zum Proletariat“ nur ideell stattfand, war er in Werk und Haltung stets der „Alte Fuchs“, der die Bewunderung der nachfolgenden jungen Revolutionäre lächelnd ertrug.

Was die Autoren der ideologischen Spurensuche zur Verwandschaft von Marx und Heine oft vergessen, ist die Generationendistanz: Heine war „der Alte“; je nachdem welches seiner phantasievoll erfundenen Geburtsdaten gerade galt, zählte er um zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre mehr als die jungen „Doktoren der Revolution“ Karl Marx und Arnold Ruge, mit denen er in der Pariser Emigration an den „Deutsch-französischen Jahrbüchern“ schrieb. Im Unterschied zu ihnen hatte Heine noch bei Hegel persönlich studiert, die nachfolgenden „Linkshegelianer“ kannten Hegel nur vom Hörensagen oder aus unzuverlässigen Vorlesungsmitschriften. Er hatte an der Berliner Universität, wie Bilder zeigen,wirklich „zu Füßen“ von Gottvater Hegel gesessen, aus dessen Vorlesungen gelernt, was heutzutage Peter Hartz und seinen Elends-Epigonen in den Ohren gellt und was mithin schon lange vor Marx verbreitete Einsicht war:

„Das Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise, die sich von selbst als die für ein Mitglied der Gesellschaft notwendige reguliert, – und damit zum Verluste des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen, – bringt die Erzeugung des Pöbels hervor, die hinwiederum zugleich die größere Leichtigkeit, unverhältnismäßige Reichtümer in wenige Hände zu konzentrieren, mit sich führt.“ ( §244 Grundlinien der Philosophie des Rechts von G.W.F.Hegel 1821 )

Dies ist ein Zitat aus den berühmten Paragraphen 188 ff und 230 ff, in denen der Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft“ schon so entwickelt wird, wie man es später den Marxisten zuschreiben wird, um ihre grundsätzliche Kritik als extremistische Position unwirksam zu machen., so etwa im § 189/193: „Die bürgerliche Gesellschaft enthält…die Vermittelung des Bedürfnisses und die Befriedigung des einzelnen durch seine Arbeit und durch die Arbeit Befriedigung der Bedürfnisse aller übrigen…,enthält unmittelbar die Forderung der Gleichheit mit den anderen hierin.“ Die „Grundlinien“ sind eine Vorlesungsmitschrift und erscheinen deswegen oft so „dunkel“ und sprunghaft, weil die Herausgeber natürlich noch nicht stenografieren konnten. Sie erschienen 1821 und geben mithin genau die Seminare wieder, die Heine bei Hegel belegt haben dürfte. Durchdacht hat Hegel erstmals das alles übrigens in seinem Sommerhaus am Südabhang des damals wüsten Kreuzberges bei Berlin, etwa dort, wo sich bis vor kurzem das Gelände der Schultheiss-Brauerei befand. Dort besaß Hegel ein Sommerhaus, und dort starb er auch 1831 an der Cholera. Zu der Zeit ging Marx noch in Trier zur Schule. Man kann ermessen, wie wichtig für Marx später die Zeitzeugenschaft Heines war, denn auf den preussischen Staatsphilosophen Hegel bezog sich jeder im wissenschaftlichen Diskurs, sei es gläubig oder kritisch..

Für Hegel bestimmte bekanntlich der „Weltgeist“ die Geschichte, erst „vom Kopf auf die Füße gestellt“ durch die „Junghegelianer“ wurde seine Dialektische Theorie nutzbar als Anleitung für revolutionäre Praxis, von Heine meisterlich in Reime gesetzt.

Obgleich Heine nicht wie Marx von der Polizei in die Emigration gezwungen war, sondern durch Schikanen und Veröffentlichungsverbote, sieht er sich zeitlebens als Sympathisant der französischen Revolutionen, seit er im Mai 1831 Wohnung in Paris nimmt und noch in die Nachwehen der Juliusrevoltion von 1830 gerät und ihrer frühkommunistischen Epigonen.Dort lernt er 1843/44 den jungen Emigranten Marx kennen und sie bestärken sich in der Adaption eines modernisierten Hegelschen Kommunismus.Heine schreibt seine härtesten Texte, etwa „Die schlesischen Weber“, 1844 auf einem gemeinsamen Flugblatt mit dem literarischen Dank an Hegel verbreitet

„Doktrin // Schlage die Trommel und fürchte dich nicht / Und küsse die Marketenderin! / Das ist die ganze Wissenschaft, / Das ist der Bücher tiefster Sinn // Trommle die Leute aus dem Schlaf,/ Trommle Reveille mit Jugendkraft, / Marschiere rommelnd immer voran, / Das ist die ganze Wissenschaft.// Das ist die Hegelsche Philosophie, / Das ist der Bücher tiefster Sinn! / Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit, / Und weil ich ein guter Tambour bin.

Heine, der ganz im Gegensatz zum Eleganten Unsinn (Sokal/Bricmont) der heutigen Poststrukturalisten einfache Worte suchte, aber nicht einfache Gedanken, hat als erster Hegels Einsichten volksfreundlich dargestellt („Die Romantische Schule“) und popularisiert, etwa in diesem kommunistischen Gedicht:

Weltlauf // Hat man viel, so wird man bald / Noch viel mehr dazu bekommen./ Wer nur wenig hat, dem wird  / Auch das wenige genommen. // Wenn du aber gar nichts hast, / Ach, so lasse dich begraben – / Denn ein Recht zum Leben, Lump, / Haben nur, die etwas haben. (Aus „Lazarus“, 1851)

Und noch 1855 analysiert er in der großen klassischen Ballade „Das Sklavenschiff“ den ökonomischen Zusammenhang von Sklavenhandel, Unterhaltungskultur und Religion, es endet: „Verschone ihr Leben um Christi Willen, / Der für uns alle gestorben! / Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück, / So ist mein Geschäft verdorben.

Dies schmetterte ein Mensch in die europäische Öffentlichkeit, der mit einer rätselhaften Nervenlähmung, seit fast einem Jahrzehnt unbeweglich ans Bett gefesselt war und der 1855 noch ein knappes Jahr zu leben hatte. Wenn er auch , mehr oder weniger ironisch, am Ende fromm wurde, was man angesichts seiner körperlichen Leiden vielleicht verstehen kann, so blieb er doch immer Sympathisant der revolutionären Arbeiterbewegung. Harry Heine, wie er vor seiner Taufe 1823 anlässlich des juristischen Examens hieß, war schon Kommunist, als Marx und Engels noch in die Windeln machten.

Heines Kommunismus war der von Babeuf und seiner „Verschwörung der Gleichen“, ein idealer Traum aus intellektueller Konsequenz: „Kann ich der Prämisse nicht widersprechen, `daß alle Menschen das Recht haben zu essen´,so muß ich mich auch allen Folgerungen fügen.“ (Lutetia) Als lebenslang gutgesponserter Bankiersneffe und Empfänger erheblicher französischer Subsidien brauchte er den praktischen Beweis seiner Solidarität mit dem Proletariat nie anzutreten, ja, er hatte sogar persönlich Angst vor der unausbleiblichen Revolution, weil dann das „Manifest der Gleichen“ gälte: „Mögen, wenn es sein muß, alle Künste untergehen, wenn uns nur die wirkliche Gleichheit bleibt!“(Babeuf). Aber Heine war bereit, daß die Blätter mit seinen edlen Gedichten darauf nach der Revolution zum Erbsenabwiegen benutzt würden, wenn denn nur jeder genügend Erbsen erhielte, auch Zuckerebsen.

Das ist das wahre Heinesche Vermächtnis: Der Klassenverrat des bürgerlichen Intellektuellen wird ihm nicht zum persönlichen Vorteil gereichen, wohl aber zur allgemeinen Befreiung mithelfen. Heine fühlt eine „geheime Angst des Künstlers und des Gelehrten, die wir unsre ganze moderne Zivilisation, die mühselige Errungenschaft so vieler Jahrhunderte, die Frucht der edelsten Arbeiten unsrer Vorgänger, durch den Sieg des Kommunismus bedroht sehen.“(Geständnisse) Heinrich Heine ist einverstanden. Acht Jahre lang Gefangener der Matrazengruft und dennoch kein Zaudern und kein Jammern, sobald es gegen die Reaktion geht. Welch ein Held!

Dann kamen die deutschen „Doktoren“ Marx und Engels und erfanden die Politik der Klassenbündnisse und den Begriff des „historischen Erbes“, das Kommunistische Manifest empfahl die Fortsetzung der bürgerlichen Revolution, nicht ihre Rücknahme. Daher Heines Hochachtung für sie. Der linke Intellektuelle darf nun, dank Marx, ohne Furcht vor kulturloser Gleichmacherei das politisch-ökonomische Bündnis mit der Bourgeoisie, von der er vorerst noch lebt, aufkündigen und sich bedenkenlos mit den revolutionären Klassen in eine gemeinsame Kampffront begeben. Der genaue Zeitpunkt dieser unter Künstlern heute wieder umkämpften Entscheidung läßt sich bei Heine philologisch genau feststellen. Noch 1854 am Ende des in der DDR oft und falsch zitierten berühmten Satzes aus „De L´Allemagne“ findet sich jenes bedeutungsschwere „je le crains / ich fürchte es“.Erst in der letzten Auflage 1855 fehlt es: Heinrich Heine starb getröstet! Hier nun die ganze Wahrheit:

„Die mehr oder weniger geheimen Führer der deutschen Kommunisten sind große Logiker, deren stärkste aus der Hegelschen Schule hervorgegangen sind, und sie sind ohne Zweifel die fähigsten Köpfe, die energischsten Charaktere Deutschlands, Diese Doktoren der Revolution und ihre mitleidslos entschlossenen Schüler sind die einzigen Männer in Deutschland, die Leben in sich haben, und ihnen, fürchte ich, gehört die Zukunft.“

(Junge Welt, 29./30.Juli 2006 )

„HOTEL CALIFORNIA“
Hören Sie mit Ihrem inneren Ohr den Popsong »Hotel California«, 1976 von der amerikanischen Softrockgruppe Eagles eingespielt. Es blieb deren einziger Welterfolg: »Welcome to the Hotel California, what a lovely place, such a lovely place …« Die Eagles gehörten zu jenen bedauernswerten Gruppen, die einen großen Hit hatten, der bis heute in jedem Supermarkt zu Tode gedudelt wird, von denen man aber ansonsten nie wieder etwas Nennenswertes gehört hat. Die Musik läuft unter dem folgenden Text weiter. Falls Sie die CD besitzen, könnten Sie sie jetzt auflegen.

Es ist, aus Gründen, die mir nie ganz klar wurden, einer meiner Lieblingssongs aus den 70ern, vielleicht wegen ganz intimer Erinnerungen drumherum. Das »Hotel California« in dem Lied ist eine heruntergekommene Tramper-Absteige am Rande der Wüste, voller skurriler Gestalten; ein Ort, so geheimnisvoll, verzaubernd und gemütlich, daß man von dort einfach nie mehr wegkommt. Die Hotelgäste bleiben für immer. Ein lyrisches Bild für die existentialistische Gebundenheit des modernen Menschen an sein Geschick bei allen Möglichkeiten, aller Freiheit, die scheinbar da ist. Ein Ort, von dem man nicht loskommt.

Seit 30 Jahren gehört dieser melancholisch kitschige Song zur gefühlsmäßigen Grundausstattung alternder Popfans. Die bittersüße Stimmung der Musik verschränkt sich mit Jugenderinnerungen, verletzten Träumen und nebelhaften Bildern von ersten Küssen, frühen Lieben und Räuschen. Was der Film »Casablanca« für den Filmfan, ist »Hotel California« für die tiefen Schichten des Schlagergemüts: Dudelt der Song im Hintergrund bei Edeka, bleibt man noch drei Minuten länger im Laden, kurvt um die Regale herum und weiß nicht warum, legt aber eine Tafel Moccaschokolade oder einen großen gelben Vanillepudding extra in den Einkaufskorb. Aus Musik ist »muzak« geworden.

»Hotel California« steht für den unverletzbaren Persönlichkeitskern unseres Kinder-Ichs, das wir bis zum Lebensende schützen und behüten müssen, weil es uns heimisch sein läßt in der Welt. Ich hoffe, Ihre CD ist jetzt gerade beim Refrain angekommen und Sie lauschen, ein letztes Mal in aller Harmlosigkeit – Wissen verändert die Wahrnehmung.

Amerikanische Soldaten nämlich nennen »Hotel California« die geheimen Gefangenenlager der US-Armee, die diese in »befreiten« Ländern errichtete. Ich entnehme folgenden Bericht einer Meldung der Basler Nachrichten vom 2. März 2003 :

(Zitat)»Das ›Hotel California‹, zynisch benannt nach einem Song der Eagles über eine Stätte, von der man so schnell nicht wieder loskommt, ist eine ›Verhörzentrum‹ der USA im Kampf gegen den weltweiten Terror. Die wichtigsten befinden sich in Baghram, in Kandahar und auf der abgelegenen Insel Diego Garcia im Indischen Ozean. In Baghram wird seit seiner Verhaftung Khalid Mohammed, die angebliche Nummer drei im Terrornetzwerk Al Qaida, unter ›höchstmöglichem Druck‹ in die Mangel genommen. Manchmal sterben auch Gefangene an den Verhörmethoden, von denen Washington steif und fest behauptet, dass es sich nicht um Folter handelt. Zum Beispiel ein Mann, von dem nur das Alter 22 und der Vorname Dilavar bekannt sind. Bei der Obduktion seiner Leiche fanden Ärzte heraus, daß der junge Mann sein Verhör nicht überlebte, weil er ›Verletzungen mit einem stumpfen Gegenstand an den unteren Extremitäten‹ erlitt. Der 30jährige Mullah Habibullah starb an einem Blutpfropfen in der Lunge, der durch ›Verletzung mit stumpfer Gewalt‹ verursacht worden sei. Im Klartext: Die beiden Gefangenen wurden beim Verhör durch US-Personal zu Tode geprügelt. Weshalb sie verhaftet wurden, weiß niemand. Damit die US-Gesetze nicht in die Quere kommen, werden die Gefangenen absichtlich an solchen Orten wie Baghram festgehalten.«(Zitat Ende)

Oder Abu Ghraib oder Guantánamo oder an anderen Orten, wo Gefangene rechtlos jeder Folter unterworfen werden können: Schlagen, langsames Töten, Elektroschocks, und neuerdings auch Schlafentzug durch permanente laute Rockmusik. Tatsächlich gehört »Hotel California« mittlerweile ebenfalls zu den ausgewählten Musiken. Ihre CD ist mittlerweile wieder beim Refrain angekommen, hoffe ich.

Mit dem »Krieg gegen Terror« ist der Weltimperialismus fast unbemerkt in eine neue Phase eingetreten: Verhinderung von Kriegen und Völkermord durch UNO-Regularien, Verbot der Folter, Todesstrafe, Hexenjagd und Unterdrückung aus Kultur- und Glaubensgründen – all diese Dinge, die die bürgerlichen Gesellschaften vom Mittelalter unterschieden, haben sich in den letzten Jahren zuerst in den USA und dann langsam auch in anderen Ländern ins Gegenteil verkehrt. Aus dem einstigen Hort der Aufklärung, Sklavenbefreiung und der antifaschistischen Koalition, der Hippiekultur der Achtundsechziger, wovon auch dieses Lied ein Teil war, ist ein Vorreiter der Massenverblödung, Armut und Folter geworden.

»Wer einmal der Folter unterlag«, schreibt Jean Amery, »kann nie wieder heimisch werden in der Welt«. Und stellen Sie sich nun bitte zu den letzten kreischenden Gitarrentönen Ihrer CD einen Menschen vor, der das »Hotel California« in Baghram überlebt hat, als Asylbewerber vielleicht bei Edeka einkaufen geht und dann diese Musik hört! Er wird vor Angst schlottern, in eine dunkle Ecke zu kriechen versuchen und kotzen, kotzen, kotzen. Denn er kennt das Hotel California, das einen nie mehr losläßt. Und Sie jetzt auch.

(Erstmals vorgetragen zur Musikbegleitung der Schlagersängerin Irma Ladouce in der Höhnenden Wochenschau zum Kriegsbeginn gegen Irak am 2. April 2003 im Grünen Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin)

Aktueller Anhang
Kultur-Event als Mordwaffe
LOVE PARADE 2010
Ein halbes Tausend Opfer für das Kapital

Ich bin ein etwas korpulenter Typ und nach der soundsovielten Aufforderungen mal was gegen meinen Bauch zu tun, sprach ich bei den Geräteturnern der Firma Kieser vor. Schweizer Gediegenheit, aber auch Schweizer Preise, erwarteten mich; über 600 Euro fürs Jahr, das war mir denn doch zu teuer. Aber ich sprach mit den Leuten dort. Ohne Gesundheitscheck und Rückenstatus werde ich gar nicht an die Geräte gelassen. „Da kann soviel passieren, wenn sie das falsch anfangen, das wollen wir gleich verhindern. Sonst kommen sie wie bei den Billig-Muckibuden kränker wieder raus als sie reingegangen sind.“ eröffnete mir der personal trainer. Ach sagte ich beunruhigt, für mich war Muskeltraining immer mit dem Anblick von grotesk verzerrten  Türkenjungs verbunden, deren hypertrophierte Schultergürtel und Oberschenkel den Missbrauch von zentnerweise Eiweißpulver und verbotenen Wachstums-Hormonen anzeigen, und die spätestens in zehn Jahren künstliche Nieren brauchen. Nee, sagte mein Informant, diese Testosteron-Opfer, die sich auch noch mit Tilidin schmerzfrei machen und dann als süperaggressive Kampf-und Kill-Maschinen durch den Alltag toben, die gibt es bei uns nicht. Wenn die auf Teufel-komm-raus ihre Muskeln schinden, dann bricht schon mal ein Wirbelkörper oder das verengte Herz platzt oder es gibt einen nachhaltigen Muskelabriss, der eigentlich in der Sportklinik behandelt werden muss, aber das zahlt keine Krankenkasse, und so laufen viele junge Leute rum, die sich bei falschen Übungen auf den falschen Geräten zu lebenslangen Schmerzen gestemmt haben, das sind die MacFit-Krüppel.-

Dies Gespräch fand statt ein paar Monate vor Duisburg und das Wort „MacFit-Krüppel“ wirkte nachhaltig und gewisseneinschläfernd in mir. Bis zum 24.Juli wußte ich nicht mal, dass es einen Fitnesskonzern dieses Namens gibt, der fast eine Milliarde Umsatz macht und unter Jugendlichen ein wesentlich ungefährlicheres Image besitzt als bei mir. Jetzt nach dem Unglück frage ich mich natürlich, wo unsere investigative Metropolen-Journaille bleibt: Selbterfahrung auf verdreckten, kaputten und knochenbrechenden Macfit-Geräten, das wäre doch der Reportage-Auftrag der Stunde! Wieviele Macfit – Krüppel gibt es? Wieviele Anabolika-Kranke? Wie wird dort geschult? Ist der Umgang mit den anvertrauten Körpern und der Sicherheit dort genauso unverantwortlich wie im Duisburger Tunnel? Das will ich im TV sehen und nicht die heuchlerischen Gummimienen unsrer Oberen.

Dass alles dieses NICHT zu lesen und zu hören ist, deutet auf Angst und Korruption bei den Medien hin. Wahrscheinlich hat Macfit so gute Anwälte, die schon im Voraus Warnschreiben verschicken, und jeder Diskutant hält sich daran. Die ganze Loveparade war ein Werbehype für Macfit, als Werbungskosten auch noch von den Steuern abzusetzen. Natürlich geht es hier um Millionen-Verluste, nicht nur die Unterdeckung durch die Versicherung, sondern die gesamte Konstruktion der Macfit-Gruppe sollte durchleuchtet werden. Da soll niemand genauer hinschauen dürfen. Und verdächtig schnell winken die Moderatoren ab, wenn jemand Schaller die Schuld an den Toten geben könnte. Stattdessen wird der Rücktritt des dämlichen Oberbürgermeisters gefordert, das wäre ein typisches Bauernopfer, um die Diskussion von der Profitgeilheit des Kapitalbesitzers abzulenken.Auch das Internet wirkt wie gesäubert von naheliegenden Anklagen, stattdessen findet sich öfter die Frage: „Wer ist denn dieser Schaller eigentlich?“ Das heißt, diese Menschen sind zu diesem Tanzvergnügen geströmt ohne sich überhaupt zu fragen, wer veranstaltet das und wozu. Wahrscheinlich dachten sie, die Stadt Duisburg will den Jungen anlässlich „Ruhr 2010“ mal einen Gefallen tun. Nur ein kluger Hacker hat sich auf der Macfit-Seite mit den schwarzen Traueranzeigen durchgesetzt und postet hundertmal:“Während Schaller mit drei Girls vögelte und seine Millionen verkokste, starben Menschen. Fuck Kapitalismus, Fuck MacFit:“ Offenbar ein gut informierter Augenzeuge, hoffentlich passiert ihm nichts! Wenn wir nicht so eine kreuzbrave Prollschicht hätten, würden sich die Eltern der Opfer mit Ihren Entschädigungssummen zusammentun wie in dem belgischen Anarchofilm „Louise hires a contract Killer“ und dem Verursacher dieses Opferfestes auf den Pelz rücken.

Oder zumindest mal einsehen, dass dieses Toten Opfer des Kapitalismus sind. Aber wie bei der Ölpest und wie bei der Finanzkrise, schaffen es die Verantwortlichen immer, zu Gott zu beten und ihre eigene doch so offensichtliche Schuld abzuwimmeln. Die Linken und die DKP haben ihre Trauer um die Toten zum Ausdruck gebracht. Na, ich weiß nicht. Mir sind Leute, die umsonst zu Tekkno tanzen, das heißt sich ihr Hirn rhythmisch leer schlagen wollen genauso widerlich wie andere Süchtige. Und die muskelstarken Burschen, die als erste über die Treppe der Panik entkamen, machten grinsend das Victory-Zeichen statt Hilfe zu holen:Genauso dumm stelle ich mir diese Massen vor! Jedes Volk hat die Musik, die es verdient: Italien die Oper, Frankreich das Chanson und Deutschland eben elektronische Marschmusik.

Am Sonntag war wieder die Show Dr.Seltsams Wochenschau. Thema war „Der Mauerbau“ und da sagte ich zum Duisburg-Vorfall: In der DDR hätte sowas wie das Unglück von Duisburg nicht passieren können! Das beste an der DDR-Kultur waren Ernst Busch, das Brecht-Theater und gerade die Jugend-Events, das Festival des politischen Liedes und die Weltfestspiele, an denen Hunderttausende teilnahmen und ausgelassen, weltoffen und interessiert sich auf sinnvolle Weise einbringen und agieren konnten. Auch dort waren die Jugendlichen ausgelassen, aber diese blinde selbstzerstörerische Amüsierwut sah man in diesem Masse nicht und auch nicht die Lust am selbstvergessenen autistischen Sichzudröhnen. Die DDR-Jugend empfand sich im besseren Sinne kollektiver, zumindest solidarischer, glaube ich. Die Lust zur Selbstzerstörung der Jugendlichen kommt doch daher, dass sie in Ihrem Alltagsleben keinerlei Spannung, Erfolge, Zukunftsaussichten mehr haben. Das ist dieselbe Grundstimmung, mit der die jungen Männer 1914 in den Krieg gezogen sind: Hauptsache mal was anderes als der Alltagstrott und die entfremdete Existenz. Statt Drushbatrasse und Jugendkollektiv hat unsere Jugend die einsame Angst vor der Zukunft, die Aufforderung zum egoistischen Ellbogenkampf gegen alle und dafür gut aussehen und harte Muskeln. Da steckt der Zusammenhang von Mcfit und Tekknotanzen. Man müsste noch mehr über diesen MC-Fit-Chef erfahren. Das ist doch der Hauptverbrecher, wahrscheinlich nimmt er in seinen Muckibuden  genau sowenig Rücksicht auf seine sich ihm anvertrauende Kundschaft wie am alten Güterbahnhof in Duisburg. Man müsste mal erfahren, wie viele Leute da schon mit Schäden rausgegangen sind. Außerdem wüsste ich gern etwas mehr über eine Meldung aus dem Fernsehen: Was waren denn das für 300 “Trauerdemonstranten” mit dem open mike vor dem Rathaus, die diejenigen Leute weggebuht haben, die von Kapitalismus und Krieg geredet haben. In diesem Fall ist der Zusammenhang ja wohl offenkundig. Waren das “unsre Linken” oder irgendwelche „empörten Kleinbürger“, die sich ihre begrenzte Trauer nicht in grenzenlose Wut auf den Kapitalismus verwandeln lassen wollen, weil sie dann kritisch tätig werden müssten?
Noch zwei Anmerkungen: Interessant, wie sich gegenwärtig alle Beteiligten in der Presse die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe schieben. Warum haben wir eigentlich keine Linke, die in solchen Situationen, wo die Schuld des Unternehmers mal exemplarisch an der Oberfläche zu sehen ist, die Wut der Massen aufgreifen und in eine wütende antikapitalistische Bewegung verwandeln kann. Das Fehlen solcher Initiative kann doch nur bedeuten: Die Linke kneift vor ihren Aufgaben. Und Zweitens: Vorher kannte ich die McFit -Kette nicht, jetzt kennen Millionen diese Marke. Also ein erfolgreicher Werbefeldzug. Dafür sind zwanzig Tote doch nicht zuviel?!
Dr. Seltsam 1.8.2010

(also, vor so nem Fluchbuch steh ich echt stramm! HaBE

Nach einer nochmaligen Lektüre am 29.10. 2010:

Danke, Dr. Seltsam, für diese Lektion.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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