Rolf Becker schreibt über seinen Besuch bei Mumia Abu-Jamal

bei Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg rauskopiert:
Nach der Nachricht, daß das Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal aufgeboben wurde, baten wir Rolf Becker, der Mumia 2009 in der Todeszelle besucht hatte, uns einen Bericht zu schreiben.

Mumia Abu-Jamaal
Vom Todestrakt zur Haft bis zum Tod

Am 6. September 2009 war ich bei Mumia. Mein erster Besuch in einem Todestrakt. Eindrücke, die mich bis heute nicht loslassen. Der guantánamo-rote Overall, in dem er mir auf der Zellenseite der Panzerglasscheibe gegenüberstand, bevor er sie und dann auch ich mit den Fäusten bearbeiteten, Zeremoniell der Begrüßung – die Vibration als Ersatz für den untersagten Körperkontakt. Seine Häftlingsnummer AM 8335, auf den folterfarbenen Overall genäht. Als ich ihn gegen Ende unseres Gespräches fragte, ob ihm noch Zeit und innerlich Raum bleibt für das, was er vor seiner Verhaftung liebte, auch an Musik und Literatur, holte er statt einer Antwort aus der Hosentasche unter seinem Overall eine kleine Rolle Papiere hervor, zusammengehalten durch ein Gummiband, und daraus wieder einen beschriebenen Zettel, der Zeilenanordnung nach ein kleines Gedicht. Und dann — unvergesslich: Mumia tritt nah an den perforierten Rahmen der Trennscheibe, lehnt sich mit einer Schulter leicht an die Wand und beginnt zu singen. „A Sad Love Song“ – für Wadiya, seine Frau. Im Todestrakt ein Lied. Die der Eindruck des Todestrakts ins kaum noch Erträgliche steigert.

Seit dem 7. Dezember 2011 wissen wir, dass Mumia nicht mehr wegen der ihm zu Unrecht vorgeworfenen Ermordung des Polizisten Faulkner hingerichtet werden kann. Die Todesstrafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. “From slow death row – this is Mumia Abu-Jamal” unterschreibt er einen Brief nach seiner Verlegung am 10. Dezember in das SCI Mahanoy Gefängnis in Pennsylvania. Dort verbrachte die Feiertage in sogenannter Administrativhaft – erschwerten Einzelhaftbedingungen und Kontaktbeschränkungen. Demnächst soll er in den „Normalvollzug“ überführt werden. Normalvollzug bis zum Tod: was von einem Teil der bürgerlichen Medien als Gnadenakt wahrgenommen wird, ist in Wahrheit nur eine Variante der ihm nach wie vor zugemuteten Unmenschlichkeit. Alle Bemühungen seiner bisherigen Anwälte, die Wiederaufnahme seines Verfahrens und damit auf juristischem Weg seine Freilassung zu erreichen, sind gescheitert und künftig auf rechtlichem Weg nicht mehr möglich.

Am 9. Dezember 1981 wurde Mumia Abu-Jamal verhaftet, zum Tode verurteilt wurde er am 3. Juli 1982. Vergeblich beanstanden bis heute seine Anwälte den Verlauf des Verfahrens. Die Jury, die im Schnellverfahren Mumia als Mörder des erschossenen Polizisten Daniel Faulkner ausmachte, entsprach in ihrer von der Staatsanwaltschaft manipulierten Zusammensetzung weder den gerichtlichen Vorgaben, noch berücksichtigte sie die zahlreichen Hinweise, die Mumia entlasteten und auf einen anderen Täter hinwiesen. Der vorsitzende Richter Sabo, der dem damals mittelosen Mumia das Geld für eine qualifizierte Verteidigung verweigerte, wurde bekannt durch seinen Ausspruch „Ich werde ihnen helfen, den Neger zu grillen“ (Zeugenaussage des Gerichtsbeamten Terri Maurer-Carter: “Yeah, and I m going to help them fry the nigger.”)

30 Jahre Todestrakt, im G-Block mit der Hinrichtungskammer, einer zusätzlich gesicherten Anlage innerhalb der Haftanstalt SCI Greene am Rande von Waynesburg, einer Provinzstadt südlich von Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania: ein Betonraum von wenig mehr als 2 mal 3 Metern, wie für alle anderen mehr als 3000 Gefangenen in den Todestrakten der USA. 28 Jahre Isolation: „Jeder Tag ist hier wirklich haargenau wie der andere, und die einzige Chance, dass sich daran etwas ändert, ist die, dass du ihn veränderst, dass du durch dein Handeln darin etwas Neues entstehen lässt. Aber von den Bestimmungen, von den Gepflogenheiten und der ganzen Anstaltspraxis her ist jeder Tag wie der andere, und das für all die Jahre.“ Das übliche Zellenmobiliar: Bett, Spind, Abort, Regal, Stuhl und Tisch, als einziges Schreibwerkzeug für Artikel und Bücher ein Kugelschreiber in Gummihalterung, so weich, dass er nur mit Mühe auf dem Papier zu führen ist (Begründung dieser Maßnahme: Suizidvorbeugung).

Hinrichtungstermine und Aufschub, von Verfahren zu Verfahren seit Antritt der Haft, ein illusionsloser Kampf, unterbrochen nur von gelegentlichen Besuchen und den kurzen Zeiten täglichen Hofgangs in einem verdrahteten Käfig, den Mumia mit einem Hundezwinger vergleicht. „Was man draußen im Fernsehen über Knast und Todestrakt gezeigt bekommt, das ist nicht die Wirklichkeit, das sind nicht wir. Wir sind nicht in einem Film, das ist kein Schauspiel, wir sind wirklich im Todestrakt. Deshalb kann ich über gewisse Dinge nicht schreiben, weil das den Leuten draußen so fremd vorkommen würde, dass sie es nicht fassen würden, nicht als wahr akzeptieren könnten, weil es gegenüber ihren eigenen Erfahrungen so fremdartig und unvorstellbar ist.“

Aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, UNO-Resolution 217 A (III) vom 10. Dezember 1948, Artikel 5: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ 30 Jahre war Mumia wie mehr als 3.000 andere Verurteilte diesen von der UNO geächteten Bedingungen unterworfen. Verpflichtung für uns, den Kampf um seine Freilassung und die Abschaffung der Todesstrafe weltweit fortzusetzen.

Parallel zur Konstituierung des Hamburger Arbeitskreises für Politische Gefangene 1989 veröffentlichte „Die Feder“, das damalige Mitgliedermagazin der IG Medien, den ersten Solidaritätsaufruf für Mumia Abu-Jamal, den Gewerkschafter und Todesstrafengegner aus Bremen bundesweit verschickt hatten. Auf der Bundesdelegiertenversammlung der dju unterzeichneten die etwa 100 Delegierten den Aufruf. In der Folge wurde er auch von anderen Gewerkschaften des DGB unterstützt. Vor dem ersten Hinrichtungsbefehl 1995 organisierten Kollegen der IG Medien zusammen mit dem Verband Deutscher Schriftsteller (VS) Hamburg) und der dju im Literaturhaus Hamburg eine Veranstaltung, auf der Norman Paech zum Unrechtsverfahren gegen Mumia sprach. Es folgten Diskussionen, Kundgebungen, Demos, 2001 wurde Mumia in Lübeck der Erich-Mühsam-Preis verliehen. Ohne diese Aktivitäten – nicht nur in der Bundesrepublik – wäre die Hinrichtung von Mumia nicht abwendbar gewesen.

Heute ist an ihre Stelle weitgehende Passivität getreten – nicht nur in dieser Frage. Viele gewerkschaftlich Aktive in der Mumia-Solidarität haben sich zurückgenommen zugunsten der Fragen, die sie unmittelbar betreffen. Das Hemd, heißt es, sei uns näher als der Rock. Ein fragwürdiger, letztlich entsolidarisierender Satz: erst ich, dann du, oder: erst wir, dann ihr. Dabei kommt es gerade jetzt darauf an, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen, uns auch übergreifender sozialer und politischer Fragen anzunehmen, auch international. Die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeitenden und Unterdrückten als einziger Ausweg – auch für Mumia. Mit seinen Worten: „Wenn du andere unterstützt, wirst auch du Unterstützung erfahren.“

„Die Stimme der Stimmlosen“ – so wurde Mumia bereits vor seiner Verhaftung genannt. 27 Jahre Todeszelle haben ihn nicht zu Verstummen bringen können: „It’s a question of your mind. Du musst durchschauen, warum das so läuft, du musst politisch dafür arbeiten, dass sich das ändert.“ Woche für Woche veröffentlicht er seine Stellungnahmen – bei uns nachzulesen in der „jungen Welt“. Mumia schreibt ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, die sie für ihn selbst haben. Worum es nach wie vor geht: Tod oder Leben, Haft oder Freiheit.

On a move! Free Mumia! Abschaffung der Todesstrafe weltweit!

Lasst uns dazu beitragen.

Rolf Becker
(31.12.2011)

Und hier ein Bericht aus Arbeiterstimme 173 (Herbst 2011), also vor Bekanntwerden der Umwandlung des Todesurteils.

Mumia Abu-Jamal – Autor & Journalist:
28 Jahre in der Todeszelle.

In der Nacht des 9. Dezember 1981 gab es im damaligen Rotlichtbezirk von Philadelphia in den USA eine schießerei, an deren Ende der Polizist Daniel Faulkner tot war und der stadtbekannte Radio-Journalist Mumia Abu-Jamal schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
Der Polizist war ,weiß’, der Journalist ,schwarz’.
Der Polizist war Mitglied der rassistischen Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police.
Der Journalist war ehemaliger Black Panther und ein radikaler Kritiker der rassistischen Stadtpolitik und ihrer grassierenden Polizeibrutalität.
Mit dieser Kombination war damals in der „Stadt der brüderlichen Liebe” und „Wiege der amerikanischen Freiheit” der Ausgang der Geschichte vorprogrammiert: Obwohl Mumia Abu-Jamal noch in der Nacht im Krankenhaus und seither immer wieder seine Unschuld beteuert hat, wurde er in dem nur zwei Wochen kurzen Prozess ein halbes Jahr später von einer Jury von 3 schwarzen und 9 weißen Geschworenen zum Tode verurteilt.

Weg mit der Todesstrafe – überall !

Seit 30 Jahren im Gefängnis, über 28 davon in der Todeszelle, kämpft Abu-Jamal nun um sein Leben und darum, seine Unschuld in einem neuen Verfahren beweisen zu können – mit völlig ungewisser Zukunft.
Ungeachtet aller weltweiten Forderungen hat der Supreme Court der USA im Jahr 2009 Abu-Jamal endgültig ein neues Verfahren verweigert.
Das Bundesberufungsgericht jedoch hat Mumias Todesurteil im April 2011 zum zweiten Mal für verfassungswidrig erklärt. Die Staatsanwaltschaft aber beharrt nach wie vor darauf, dass Mumia eines Tages hingerichtet wird.
Und in dieser ganzen Zeit bleibt Abu-Jamal neben den Hinrichtungskammern im Todestrakt – in einer winzigen, dauerbeleuchteten Zelle.
Er ist dort nicht, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Er ist dort nicht, weil ihm ein Verbrechen nachgewiesen worden wäre. Er ist dort deshalb, weil er es gewagt hat, behördlichen Rassismus und Polizeibrutalität weit über die Grenzen Philadelphias hinaus bekannt zu machen.
Als einer der bekanntesten und vielversprechendsten Radio-Journalisten Philadelphias hielt er sich nicht an die branchenübliche Selbstzensur, sondern ließ Betroffene im Radio selbst zu Wort kommen. Deshalb wurde er schon lange vor seiner Festnahme „The Voice Of The Voiceless“ – Stimme der Unterdrückten – genannt.
Bis heute hat Mumia trotz Isolationshaft nichts von seiner bestechend genauen und radikalen Kritikfähigkeit an den bestehenden Verhältnissen eingebüßt – und seine Kolumnen und Bücher werden weltweit gelesen.
Im Kampf um seine Freiheit geht es nie nur um Mumia selbst. Er ist mit seinem unermüdlichen Einsatz für die über 3000 anderen im Todestrakt das Gesicht des Kampfes gegen die Todesstrafe in den USA geworden. Für Mumia einzutreten heißt immer auch, dafür zu kämpfen, dass kein Staat sich das Recht herausnehmen darf, die eigenen Bürger zu töten.
Wie ein afroamerikanischer Aktivist es ausdrückte: „Wenn wir Mumia befreien, dann haben wir wirklich Berge versetzt – lasst uns das tun!“

Genug ist genug.
Freiheit für Mumia Abu-Jamal!

Mehr Infos:www.Freiheit-fuer-Mumia.de
mumia-hoerbuch.de
rote-hilfe.de

Vorbereitungsgruppe Jour Fixe
Kontakt: jourfixe.hh@t-online.de

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert