Krach in der imperialistischen Pyramide meldet Chr. Stoodt in der uz

Krach in der
imperialistischen Pyramide
Von Hans Christoph Stoodt
| Ausgabe vom 9. September 2016
US-Kampfflugzeuge (Foto: DoD photo by Senior Airman Matthew Bruch, U. S. Air
Force/Released)
Die Kriegsgefahr wächst. Der Imperialismus wird sich selbst immer ähnlicher, und die Lage
ähnelt in mancher Weise der vor dem ersten imperialistischen Weltkrieg. Viele werden
dieser Einschätzung folgen. Wie das Verhältnis der imperialistischen Staaten zueinander im
Detail einzuschätzen ist – das sind dagegen offene Fragen. Die Friedensbewegung und
generell die antiimperialistischen Kräfte müssen ein klares Bild darüber gewinnen, um
entscheiden zu können, wem Solidarität gebührt. Der Krieg oder die Kriege, die der
Imperialismus im Nahen Osten mit unklaren und wechselnden Zielen und Partnern führt,
machen eine klare Analyse besonders notwendig. Die UZ will mit diesem Beitrag von Hans
Christoph Stoodt eine intensivere Diskussion darüber beginnen. Das heißt ausdrücklich
nicht, dass die Redaktion mit allen seinen Thesen einverstanden ist. Die Haltung der
Friedensbewegung glatt als „Parteinahme für Russland“ zu qualifizieren, scheint uns
besonders fragwürdig.
Das Staatenbündnis EU, dessen Möglichkeitsbedingungen Lenin schon im August 1915
„reaktionär oder unmöglich“ genannt hatte, ist in der Krise. Auch der Nahe und Mittlere
Osten kommt nicht zur Ruhe. Das schlägt sich auch in Diskussionen der Friedensbewegung
und der antifaschistischen Linken nieder. Uneinigkeiten in der Analyse des gegenwärtigen
Imperialismus sind offensichtlich.
Auf der einen Seite wird zu Recht gewarnt, das Ziel der NATO-US-Einkreisung Russlands
werde ein militärischer Überfall sein. Die Konsequenz besteht in der Parteinahme „für
Russland“ und dessen Regierung. Russlandfahnen sind auf Friedensdemonstrationen nichts
Ungewöhnliches. Es ergeben sich hier zudem politische Überschneidungen mit im Vergleich
zum transatlantischen Flügel bedeutend schwächeren Teilen der „eurasisch“ orientierten
Monopolbourgeosie – und z. B. unter dem Label „Souveränismus“ machen da auch rechte
Gruppierungen der Bourgeoisie bis hin zu Teilen der Arbeiterklasse mit (Pegida und AfD).
Im syrischen Bürgerkrieg und seinen Konsequenzen für die Kurdistanfrage sammelt sich
eine andere Koalition, deren AktivistInnen nicht zum Bündnis mit Russland, sondern mit
den USA bereit sind. Während des Dritten Golfkriegs 2003, des vor allem durch den USImperialismus
herbeigebombten Staatszerfalls im Irak, hatten kurdische Gruppen im Norden
des Landes eigene territoriale Fakten geschaffen. Andere kurdische Organisationen
versuchen heute das gleiche im Norden Syriens. Schon 2003 wandten sich kurdische, PKKorientierte
Kräfte in der BRD von der Friedensbewegung ab, die gegen den Golfkrieg
mobilisierte. Sie befürworteten ausdrücklich den Angriff der USA auf Irak. Die
Kantonisierung Iraks entlang ethnischer und religiöser Linien, von kurdischer Seite
bereitwillig mitgetragen, ist heute Grundbedingung für die Verhinderung des
Wiederaufbaus irakischer staatlicher Strukturen, an denen US-Imperialismus und die
Führung der irakischen KurdInnen gemeinsam kein Interesse haben. Dies gehört zur
Strategie der Schaffung eines von den USA dominierten „Greater Middle East“, eines
Projekts, das auf einer Revision der im britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommen nach
dem 1. Weltkrieg kolonialistisch gezogenen Grenzen beruht. Die USA, nicht die Völker
selber, wollen heute die Grenzen dort neu ziehen.
Klar, dass die politischen Kräfte, die 2003 hinter der kurdischen Strategie im Norden Iraks
standen, nicht identisch sind mit denen, die heute das Projekt in Rojava vorantreiben.
Gerade wegen dieser Unterscheidung ist das Verhalten der heutigen kurdischen Führung
dort dem damaligen, von anderen Kräften getragenen so signifikant ähnlich. PKK und YPG
sind ein militärisch-politisches Bündnis mit den USA und ihren Verbündeten eingegangen,
das weit mehr ist als eine zeitweilige taktische Übereinstimmung gegen den IS.
Kritik am proimperialistischen Vorgehen der PKK-Führung
wird als Verrat am Internationalismus gesehen
Von hiesigen Apologeten dieses Vorgehens wird das Vorgehen der PKK als alternativlos
deklariert, als aus nur der Not geborener zeitweiliger „Pakt mit dem Teufel“ gegen den
„Islamfaschismus“. Das ist, wie die Parallele 2003 zeigt, aber nicht der eigentliche Grund.
Dass die PKK-Führung schon länger und auch ohne die aktuelle militärische Zwangslage
zu einem solchen Bündnis mit den USA bereit war, um eigene, nationale Ziele durchsetzen
zu können, war nach Abdullah Öcalan bereits Gegenstand von Überlegungen längst bevor
die heutige militärische Lage um Rojava existierte. Auf der politischen Agenda der Führung
und des PKK-Vorsitzenden stand und steht das ausdrückliche, bewusste Einschwenken auf
die US-Strategie eines Greater Middle East. Dazu Öcalan bereits 2010:
„Das Greater Middle East Project, (…), beruht auf jüngsten Analysen des Imperialismus
seit 1990 und ist der Versuch, aktuelle Probleme zu lösen. Es geht davon aus, dass die von
Frankreich und England nach dem I. Weltkrieg errichtete Ordnung Fehler enthält und
den heutigen Anforderungen nicht länger genügt. Es findet sich sogar eine
selbstkritische Haltung. So wird es mittlerweile als Fehler angesehen, nach dem II.
Weltkrieg im Namen von Sicherheit und Stabilität den Despotismus gefördert zu haben.
Die extreme Verarmung der Bevölkerung der Region wird als schädlich und gefährlich
für das System eingestuft. Daher sollen ökonomische Entwicklung, individuelle
Freiheiten, Demokratisierung und Sicherheit gleichzeitig vorangebracht werden. Mit
diesem Modell will man die chronisch gewordenen Probleme und Konflikte (Israel-
Palästina, Kurden-Araber, Türkei, Iran) lösen, gleichzeitig das gesellschaftliche Gefüge
aus dem Klammergriff des Despotismus befreien und so neue Explosionen verhindern.
Es handelt sich um eine Art an die Region angepassten neuen Marshallplan, wie er
seinerzeit für Europa umgesetzt wurde. Wenn die Region für das System sehr wichtig
ist – und das ist der Fall – und gleichzeitig so etwas wie eine Phase des Chaos
durchmacht, dann ist ein Projekt mit diesen Zielen notwendig und realistisch. Es kommt
sogar reichlich spät“,
wobei sozialer Inhalt dieser Strategie für Öcalan wohl längst nicht mehr der Weg
zum Sozialismus/Kommunismus ist. Seine gesellschaftliche Zukunftsvorstellung speist sich
eher aus Reminiszenzen an eine „natürliche Gesellschaft“.
Schon länger also besteht in der PKK die Idee, ein befreites kurdisches Gemeinwesen auch
auf den Trümmern des vom US-Imperialismus zerstörten Syrien und im Rahmen eines
Greater Middle East aufzubauen, analog zu kurdischen Kräfte im Irak – und, wer weiß, in
Zukunft vielleicht auch Irans? Darum beteiligen sich kurdische Kräfte auf ihre Weise an der
Zerschlagung Syriens und Iraks – nicht im „antinational“-staatskritischen, sondern
objektiv im Sinn „produktiver Zerstörung“ im Interesse des Imperialismus.
Dabei können alle Karten neu gemischt werden. So ist z.B. eine künftige Allianz kurdischer
und israelischer Kräfte nicht völlig ausgeschlossen, wird von Israel für wünschenswert
erklärt und in der BRD von der Kurdischen Gemeinde propagiert – zu Lasten Palästinas.
Von „Internationalismus“ ist das weit entfernt. Neue Konflikte tun sich in diesem Kontext
schon auf, wenn andererseits Israels Militärgeheimdienstchef im Juni 2016 offen erklärt,
seine Regierung ziehe ein Syrien unter dem IS der Assad-Regierung vor. Ähnliche Konflikte
sieht man bereits zwischen Syrien, YPG, der Türkei und den USA bei den Kämpfen um
Hasakah und in der Frage des Waffenstillstands um Jarabulus. Zugleich nähern sich Israel
und die Türkei diplomatisch einander ebenso wieder an,wie andererseits die Türkei und
Russland: stärkere und schwächere imperialistische Kräfte ringen gegenwärtig um die
künftige Dominanz im zu erbauenden Greater Middle East von US-Patronage. Wie
realistisch die Hoffnung der PKK ist, in dieser Lage ein eigenes, nicht-staatliches
Gemeinwesen zu bauen, ist ebenso fraglich, wie klar ist, dass die syrische Bevölkerung zu
alledem von niemandem befragt wird.
Die antiimperialistische und internationalistische Linke der BRD verschließt vor diesem
Vorgang weithin die Augen. Sie denunziert Kritik am proimperialistischen Vorgehen der
PKK-Führung als Verrat am Internationalismus. Sie selbst wird dadurch mittelbar
Anhängsel einer Strategie, die sich ins Schlepptau der führenden Macht des Imperialismus
begibt – bezeichnet dies als „internationale/antinationale“ Solidarität. Detailliert belegt kann
man diese Entwicklung in zwei Texten nachverfolgen, die während des diesjährigen
Pressefests der UZ im „Roten Zelt antifaschistischer und antikapitalistischer Gruppen“ zur
Diskussion gestellt wurden.
Beide Positionen gehen mehr oder weniger deutlich von progressiv formulierten Zielen aus:
für Frieden, Internationalismus, Antiimperialismus, für ein emanzipatorisches Projekt
Rojava – und beide sind im eigenen Land anfällig für Allianzen mit eigentlich abgelehnten,
offen rechten Positionen, wie die offene Flanke zu Pegida/AfD einerseits, der Bereitschaft
zur Unterordnung unter die Ziele der USA andererseits zeigt. (Ausdrücklich hinzugefügt
werden muss in der aktuellen Diskussionslage, dass diese Einschätzung keineswegs von
einer „Äquidistanz“ zu den einander bekämpfenden imperialistischen Kräften ausgeht, Die
„imperialistische Pyramide“ ist die adäquate aktuelle Anwendung der Leninschen
Imperialismusanlaysesondern sie jeweils unterscheidet – aber zugleich als das
charakterisiert, was sie sind: Imperialisten.)
In beiden Fällen ist das nur möglich, weil letztlich beide nicht klassenanalytisch basiert
argumentieren und darauf verzichten, die Rolle des deutschen Imperialismus im jeweiligen
Politikfeld zu thematisieren – oder gar zum Kampf gegen ihn aufzurufen.
Die „imperialistische Pyramide“ ist die adäquate
aktuelle Anwendung der Leninschen Imperialismusanlayse
Wer, wie im gleichen Spektrum nicht ungewöhnlich, den IS als „islamfaschistisch“
bezeichnet oder solche „Analysen“ im eigenen Bündnisbereich akzeptiert, verbreitet
objektiv Kriegs- und „Anti-Terror“-Propaganda und liefert für dieses Übergehen auf
proimperialistische Positionen eventuell gleich auch noch die dazu passende
„antifaschistische“ Legitimationsideologie: war nicht auch „gegen Hitler“ ein Bündnis der
UdSSR mit dem Imperialismus erforderlich? Joseph Fischer und Rudolf Scharping winken
aus dem Jahre 1999: damals wie heute geht es in Wahrheit doch um Regionalinteressen des
Imperialismus, nicht um „Antifaschismus“. Und wer in dieser „Analogie“ heute die Rolle
der UdSSR übernehmen soll, also des Staats, der aufgrund seines Klassencharakters in der
Lage war, militärisch die Hauptlast der Zerschlagung des Nazifaschismus zu leisten, bleibt
ebenso im Dunklen wie die Frage, aufgrund welcher Analyse der politischen Ökonomie des
IS dessen Charakterisierung als „faschistisch“ beruhen soll – abgesehen davon, daß man
sich mit dieser Begrifflichkeit auf ein zentrales „antideutsches“ Ideologie-Element mit hoher
politischer Anschlussrationalität an die extreme Rechte einigt.
Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, welcher Partner einer kurdisch-
US-amerikanischen Allianz militärisch und darum auch politisch der stärkere Teil ist, und
wer letztlich wem im Konfliktfall um die von beiden Seiten akzeptierte US-Strategie des
Greater Middle East die wichtigen Schritte diktieren wird. Die aktuellen Ereignisse zeigen,
dass die USA sich schon jetzt in eine dominante Rolle zwischen Türkei, Russland, PKK und
Israel manövrieren, mal mit, mal gegen die PKK.
Zu Beginn des 1. Weltkriegs wurde in der deutschen Sozialdemokratie der Übergang auf die
Seite des „eigenen“ Imperialismus gelegentlich mit „linken“ Argumenten gegen den
Zarismus begründet. Damit ergriff man Position für den „eigenen“ Imperialismus, den
„zivilisierten“ im Unterschied zu den russischen „Barbaren“.
Dem hielten Teile der Zimmerwalder Linken um Lenin die Losung entgegen, es sei die
Aufgabe jeder marxistischen Partei, das Proletariat des eigenen Landes dazu zu befähigen,
den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die jeweils „eigenen“ Imperialisten
zu verwandeln, anstatt sich der einen oder der anderen Seite des imperialistischen Kriegs
anzuschließen.
Für die heutige Entwicklungsepoche des Imperialismus hat die KP Griechenlands (KKE)
die Theorie der imperialistischen Pyramide in die Diskussion gebracht, adäquate aktuelle
Anwendung der Leninschen Imperialismusanlayse. Sie macht deutlich: Es gibt heute keinen
wesentlichen politischen Konflikt in der Welt, der nicht zugleich ein Konflikt zwischen
imperialistischen Mächten ist. Aufgeteilt zwischen ihnen, entwickeln sich die globale
Machtverhältnisse stürmisch weiter. Das resultiert notwendig in sich ständig verändernden
imperialistischen Konflikten und Allianzen. Es kann aber nie Sinn des Kampfs der
internationalen Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Parteien sein, sich in diesen
Konflikten auf der einen oder anderen imperialistischen Seite zu verorten. Vielmehr darf
sich, ähnlich wie bereits 1914ff, eine marxistische, klassenorientierte, antiimperialistische
und internationalistische Linke mit dem revolutionären Ziel des Sozialismus/Kommunismus
unter den heutigen Bedingungen nie und nirgends auf die Seite einer der um die globale
Vormacht kämpfenden imperialistischen Mächte stellen oder sich als Bauern auf ihrem
Spielbrett zur Verfügung stellen. Sie hat vielmehr überall dafür zu kämpfen, in
Unabhängigkeit von der „eigenen“ wie von jeder Monopolbourgeoisie in ihrem Land um
den Sturz des Kapitalismus zu kämpfen – in internationalistischer Solidarität mit allen, die
das in ihren jeweiligen Ländern ebenfalls tun. Diese Solidarität gilt heute zuerst dem
kurdischen, syrischen und palästinensischen Volk und allen Völkern der Region, die vom
Imperialismus der USA, der EU-Staaten, Russlands, der Türkei und Israels unterdrückt und
zu bloßen Objekten widerstreitender imperialer Interessen und wechselnden, zeitweiligen
Allianzen gemacht werden.
Je weiter sich heutige linke Kräfte von der Aufgabe des Kampfs gegen den im jeweils
eigenen Land stehenden Hauptfeind entfernen, um so mehr leisten sie einen Beitrag zur
Verlängerung des Elends, unter dem sie leiden und das sie bekämpfen wollen. Wenn sie
dafür antiimperialistische und internationalistische Begrifflichkeiten und Slogans nutzen,
leisten sie damit objektiv einen Beitrag dazu, diesen ihre Glaubwürdigkeit zu nehmen.
Umgekehrt ist die Erarbeitung einer eigenen antiimperialistischen „Außenposition“
(Thomas Metscher) das Gebot der Stunde, einer Position, die in der Lage ist, die Haltung
der Zimmerwalder Linken zum imperialistischen Krieg unter heutigen Bedingungen neu zu
formulieren und an ihrer erfolgreichen Umsetzung zu arbeiten. Jeder Schritt dahin ist die
effektivste internationalistische Hilfe, die denkbar ist.
Quelle: http://www.unsere-zeit.de/de/4836/29/3475/Krach-in-der-imperialistischen-
Pyramide.htm
Anmerkung: Ich stelle hier diesen Text zur Diskussion, nicht
zuletzt, weil er Richtiges enthält, aber auch Falsches, z.B. wenn
er die RF über den gleichen Leisten der EU und der USA, etc.
schlägt. Hier täte doch etwas fundiertere Analyse Not……. .
Wenn der Text feststellt, dass gewisse kurdische Kräfte sich zum
Komplizen des Imperialismus zu machen beginnen, in der Hoffnung
dafür ein kleines US – Homeland zu erhalten, dann ist das hingegen
eine notwendige Kritik. Genauso wie die daraus folgende
Erkenntnis, dass diese Versuche nur dazu führen werden, dass sich
die Kurden in die gleiche Zwickmühle manövrieren werden, in der
die Palästinenser jetzt schon stecken. Genauso wie das Imperium
niemals Israel in seinen Verbrechen gegen die Palästinenser in die
Schranken weisen wird, wird das Imperium seinen Satrapen Türkei
nicht daran hindern, gegen genau die gleichen Kurden vorzugehen,
mit denen man doch eigentlich verbündet zu sein – vorgibt. In
Wirklichkeit ist die Rolle der Kurden im globalen Schachspiel des
Imperiums kaum mehr als die Rolle einer „Verfügungsmasse“, eines
Bauern also, der bei Bedarf bedenkenlos geopfert wird.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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