2 Mittel-Gründauer Lehrer mussten auswandern

Bernhard Kaffenberger

War 1848 Lehrer in Mittel-Gründau in der zweitältesten Schule des Dorfes in der Obergasse.

Die älteste Schule, die wahrscheinlich direkt nach dem 30jährigen Krieg entstanden ist, befand sich im Hirtenhaus, in der Hirtenscheune am Haselbach, wo sie heute noch steht. Von dort wurde die Schule verlegt, weil sich die Kinder im Überschwemmungsgebiet des Haselbaches regelmäßig Krankheiten holten und dann für die Arbeit auf den Feldern und in den Ställen ausfielen. Die Lage der ältesten Schule war für das im 30jährigen Krieg fast ausgelöschte Dorf deshalb existenzbedrohend. Was an Einwohnern die marodierenden Söldnertrupps, Pest und Cholera überlebt hatte, das waren gerade 5 Restfamilien. Die Büdinger Grafen ließen da gerne Glaubensflüchtlinge wie die inspirierten Meininger aus dem Hanauer Land einwandern und sie die verwüsteten Äcker wieder urbar machen, die Resthöfe wie den bis auf die Grundmauern zerstörten Lehr’schen Hof wieder aufbauen. Jetzt waren die Kinder zwar nicht mehr durch „kroatische Reiter“ bedroht, sondern durch fürstliche Jäger und Steuereintreiber,  aber eben nicht nur das: sie waren durch die ärmlich ausgestattete und im Haselbachüberschwemmungsgebiet liegende Schule doppelt gefährdet: die Schule war unter einem Dach mit den Ziegen, Schafen, Schweinen, Gänsen und Enten der ärmeren Kleinbauern, Mägde, Knechte, Tagelöhner, die keine Ställe hatten. Die Dorfhirten schlossen deren Tiere nachts in der Hirtenscheunen-Dorfschule ein. So war der feuchte Lehmboden in der Schule mit Tierkot vermischt.  Auch wenn der Haselbach über die Ufer trat, brachte er Jauche, Kuhfladen, Pferdeäppel, Schweinescheiße, Ziegenköddel usw. mit und auch die ganze Kolibakterien-Fracht der Abflüsse aus den am Hang liegenden Wohnhäusern und Ställen, die ihr Frischwasser aus höher gelegenen Brunnen, den Hangquellen hinterm Kirchhof und aus dem Mühlbach bezogen. Der Haselbach war im Ortsbereich zeitweise eine Abwasser-Kloake. Da war Typhus noch das Harmloseste, was sich die Kinder in der überschwemmten Schule holen konnten..

So sorgten Lehrer wie Paul Nagel und 18 Jahre später sein Nachnachfolger Bernhard Kaffenberger mit dafür, dass die Gemeinde in der Obergasse eine neue  und größere Schule baute. Deshalb heißt die Obergasse heute auch Alte Schulstraße

Bernhard Kaffenberger war nicht nur Lehrer sondern auch “Schüler” seines politischen Lehrers Dr.Christian Heldmann. Im „revolutionären Vorort“, wie Mittel-Gründau in der 1848er demokratischen Revolution genannt wurde, wirkte der Arzt, Naturforscher, Landwirtschafts-Reformer und Eisenbahn-Pionier Heldmann. Er war mit Justus Liebig befreundet und verbreitete dessen Reformen in der Landwirtschaft.

Bernhard Kaffenberger unterstützte die Kandidatur Christian Heldmanns für den Hessischen Landtag und das Paulskirchen-Parlament. In Mittel-Gründau war er einer der Gründer des Demokratischen Vereins und dessen Schriftführer. Er verfasste alle Anträge des Demokratischen Vereins an den Hessischen Landtag, deren Inhalt meist nur aus den Ablehnungsbegründungen des Landtagspräsidiums überliefert sind. „Zu demokratisch“, „zu radikal-sozial“, „ zu republikanisch“ „majestätsbeleidigend“ usw. … Die Anträge und Petitionen wurden vernichtet. Dr. Christiam Heldmann konnte nur die Ablehnungsbegründungen in Mittel-Gründau vortragen.

Bernhard Kaffenberger wurde wegen seiner aktiven Rolle in der 1848er Revolution vom Darmstädter Großherzog nach Darmstadt strafversetzt und durfte nicht mehr unterrichten. Die Mittel-Gründauer Schule wurde für zwei Jahre geschlossen und Bernhard Kaffenberger vor die Wahl gestellt: entweder Auswanderung in die USA oder Zuchthaus. Bernhard Kaffenberger entschloss sich, mit seiner Frau und den 7 Kindern in die USA auszuwandern. In den USA wurde er wieder Lehrer und schließlich (wie sein Vorbild Dr. Christian Heldmann) ein berühmter Arzt (Danke an Rich Kaffenberger aus Connecticut für die Auskünfte über das Wirken seines Urgroßvaters in den USA, dessen Telefongespräche mit mir immer wieder unterbrochen wurden ((kein Wunder, er wohn ja in Connecticut!!)). Seine mails und seine mail-adresse sind leider über die Wupper gegangen beim letzten großen Programmabsturz und Festplatten-Crash 2008)

Paul Nagel

War ab 1825 (?) Lehrer in Mittel-Gründau.

Der Sohn des Vonhäuser Hauptlehrers Nagel erlebte die Hungersnöte der „kleinen Eiszeit“, erntelosen „Jahre ohne Sommer“ nach dem gigantischen Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1815 . Da die Fürsten – die Büdinger Grafen, die Riedesels, von Goertz, Solms-Laubach  in dieser extremen Notlage die Auspressung der Bauern noch verstärkten kam es zu Hungerrevolten, die sich zum „Oberhessischen Bauernaufstand“ weiterentwickelten. Ausgangspunkt des Aufstandes war Mittel-Gründau. Die Anführer des Aufstandes waren Mittel-Gründauer Bauern, die schon seit über 200 Jahren mit den Büdingern im Streit lagen und diesen Streit um ihre Wald- und Wasserrechte, um Fronminderung und Abgabensenkung vor die obersten Reichsgerichte in Wien, Regensburg und Wetzlar gezogen waren … mit beachtlichen vorübergehenden Teilerfolgen ….

Einer der Aufstandsanführer war Tobias Meininger, nach dem bis heute die Adresse Bachgasse 1 in Mittel-Gründau im Volksmund „Bei’s Tobiasse“ heißt. Der Schriftführer der aufständischen Bauern war Paul Nagel. Der Forderungskatalog, den er nach den Beratungen der Bauern aufgeschrieben hat, ist überliefert.

Höchst wahrscheinlich ist auch die Teilnahme eines aus Langenbergheim stammenden Schuhmachers Birkenstock, denn die Langenbergheimer und die auf dem Weg eingesammelten Eckartshäuser und Altwiedermuser Bauern und Handwerker wollten nicht losschlagen, bevor sie sich mit den Mittel-Gründauern beraten hatten. Die Beratungsergebnisse schrieb Paul Nagel auf und brachte sie an der Spitze des Bauernzuges als Parlamentär bis ans Büdinger Schlosstor. Ihm war freies Geleit zugesichert worden. Die fürstlichen Jäger hatten sich auch vor den mit den Bauern sympatisierenden Bürgern verschanzt. Die Büdinger hatten den Bauern schon die Stadttore geöffnet. Zu befürchten war, dass sie auch vor dem Schlosstor nicht Halt machten.

Paul Nagel wird -trotz „freien Geleits“- hinter dem Schlosstor sofort festgenommen und eingekerkert. Zur Strafe für die Mittel-Gründauer wird die Schule für 2 Jahre geschlossen. Nach 10 Jahren Zuchthaus Marienschloss/Rockenberg kommt er wieder frei. Seine Frau und er schlagen sich als Magd und  Knecht mehr schlecht als recht durch.  1854 meldet eine Darmstädter Zeitung seine bevorstehende Auswanderung in die USA – zusammen mit den Familien Friedrich Weinel und Heinrich Heß – auch aus Mittel-Gründau.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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