NS-Chronik einer Stadt: Historikerin darf Mitläufer Täter nennen. Für Langenselbold und Christine Wittrock geht ein langer Rechtsstreit zu Ende

FR-Artikel vom 26.05. 2000

Von Astrid Ludwig

Die Historikerin Christine Wittrock hat im Streit um Schwärzungen in ihrem Buch „Das Unrecht geht einher mit sicherem Schritt” vor dem Frankfurter Oberlandesgericht Recht bekommen. Der Klageführer Peter Kaus, Sohn des ehemaligen NS-Wehrwirtschaftsführers Wilhelm Kaus, ist unterlegen.

LANGENSELBOLD. Mit dem Urteilsspruch der Frankfurter Richter geht ein monatelanger Rechtsstreit um die Forschungsergebnisse der Historikerin zur NS-Zeit in Langenselbold (Main-Kinzig-Kreis) zu Ende. Peter Kaus hatte der Autorin Christine Wittrock vorgeworfen, die Textstellen in ihrem Buchkapitel über seinen Vater nur unzureichend geschwärzt zu haben. In einer einstweiligen Verfügung hatte die Kaus-Familie im vergangenen Jahr erreicht, dass Wittrock Teile ihrer Ausführungen unkenntlich machen mußte.

Dabei ging es in erster Linie um das Wort „Nazi-Chef” und um einen Zusammenhang, den die Historikerin hergestellt hatte zwischen dem Todesurteil an dem Langenselbolder Polier Valentin Schmidt und dem Unternehmer und NS-Wehrwirtschaftsführer Kaus. Wittrock hatte vermutet, dass Kaus zur Verhaftung des Poliers beigetragen hatte.

In ihrem Buch hatte Wittrock die geschwärzten Textstellen durch einen Anhang erklärt und auf die Verfügung des Landgerichts hingewiesen; mit dem Zusatz: „Die Urteilsbegründung stützt sich auf die im Dezember 1948 erfolgte Rehabilitierung des Wilhelm Kaus durch seine Einstufung als Mitläufer. Ich messe dieser Einstufung keine Bedeutung zu, denn zu diesem Zeitpunkt wurden fast alle Täter zu Mitläufern erklärt.” Ein Zusatz, den der Kaus-Sohn als Verstoß gegen die einstweilige Verfügung ansah und deswegen die Historikerin zu einem Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verdonnert sehen wollte.

Schon das Frankfurter Landgericht hatte die Klage Kaus’ zurückgewiesen, wie jetzt auch das Oberlandesgericht die Beschwerde in zweiter Instanz abwies. Begründung: Die Autorin habe nicht gegen das Unterlassungsgebot verstoßen. Die beanstandeten Passagen habe sie gestrichen und damit der Verfügung entsprochen.

Für Christine Wittrock ist das Verfahren damit zu Ende – zu ihrer Erleichterung, wie sie der FR sagte. Sie hatte die NS-Zeit in Langenselbold anfangs im Auftrag des Main-Kinzig- Kreises aufgearbeitet, dann – als Landrat Karl Eyerkaufer (SPD) sich von Wittrocks Studie wegen Klage-Androhungen von Nachfahren distanzierte – für diese selbst einen Hanauer Verlag gefunden.

In Langenselbold ist das Kapitel Kaus dagegen noch nicht ganz zugeschlagen. Am Eingang zum Freibad der Stadt hängt noch immer die bronzene Gedenktafel, die den ehemaligen Ehrenbürger Wilhelm Kaus für seine Verdienste um den Bau des Schwimmbades würdigt. Er hatte dessen Bau Ende der 60er Jahre mit einer großzügigen Spende ermöglicht. Wilhelm Kaus ist als ehemaliger Nazi-Aktivist vor allem seit dem Erscheinen des Wittrock-Buches umstritten. Seine Ehrenbürgerschaft gab der mittlerweile Verstorbene jedoch schon in den 70er Jahren zurück, als er im Stadtparlament wegen der Aussperrung von streikenden Mitarbeitern seiner Firma in die Kritik rückte.

Bei der geplanten Sanierung der Umkleide- und Sanitäranlagen des Bades im Herbst wird die Mauer fallen, an der die Kaus-Gedenktafel hängt. Sie werde dann wohl auch nicht wieder angebracht werden, erklärte Bürgermeister Heiko Kasseckert (CDU) auf Nachfrage der FR.

FR 26.5.2000

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert