„Mindestens 32 Menschen wurden getötet und weitere 55 verletzt – einige von ihnen blieben mit schrecklichen Verbrennungen zurück – nachdem ein israelischer Luftschlag eine Schule in Gaza getroffen hatte, in der Frauen und Kinder schliefen“

Höre & lies, Israel! & US&UK&EU & besonders Deutschland! Dank an Julien Assange für Cannes

Zur Premiere des Dokumentarfilmes über wikileakes „The Six Billion Dollar Man“ in Cannes erschien Julien Assange mit einem T-Shirt, auf dem die Namen von 4986 palästinensischen Kindern stehen, die seit 2023 durch die Israelische Armee ermordet wurden.
Das graue Rechteck auf seinem T-Shirt sind die 4986 Namen der seit 2023 ermordeten Kinder. Und es werden tagtäglich um viele Hunderte mehr, wenn man die an Hunger und Mangelkrankheiten sterbenden Kinder mitzählt.
Die Verantwortung Deutschlands
Vortrag von Prof. Dr. Ninon Colneric
- Die Verantwortung Deutschlands
- Erfreulich
Auf dem Palästina-Tag, der am 3. Mai 2025 in Hannover stattfand, hat BIP-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Ninon Colneric einen Vortrag mit dem Titel „Die Verantwortung Deutschlands“ gehalten und anschließend sechs konkrete Forderungen an die deutsche Politik hinzugefügt.
I.Der Israeli Yuval Abraham erhielt auf der Berlinale 2024 gemeinsam mit dem Palästinenser Basel Adra für den Film „No Other Land“ den Berliner Dokumentarfilmpreis. In seiner Dankesrede bezeichnete er die rechtliche Ungleichbehandlung der israelischen Staatsbürger und der Palästinenser in den von Israel besetzen Gebieten als „Apartheid“. Ihm wurde deshalb von deutschen Politikern und Medien Antisemitismus vorgeworfen. Auf X berichtete Yuval Abraham, dass seine Familie daraufhin von einem rechten israelischen Mob, der nach ihm suchte, heimgesucht wurde und mitten in der Nacht fliehen musste. Er selbst habe Morddrohungen erhalten.

Yuval Avraham. Quelle: 2024, Wikipedia.
Zu den Antisemitismusvorwürfen schrieb Yuval Abraham: „Der entsetzliche Missbrauch dieses Wortes durch die Deutschen, nicht nur, um palästinensische Kritiker Israels zum Schweigen zu bringen, sondern auch, um Israelis wie mich zum Schweigen zu bringen, die einen Waffenstillstand unterstützen, der das Töten in Gaza beendet und die Freilassung der israelischen Geiseln ermöglicht, entleert das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung und gefährdet damit Juden in der ganzen Welt.“
Deutsche Politiker werden nicht müde, die besondere Verantwortung Deutschlands für jüdisches Leben zu betonen. Deutschland wird dieser Verantwortung jedoch nicht gerecht, solange eine gänzlich konturlose Definition von Antisemitismuspropagiert wird, die faktisch in erster Linie den Staat Israel vor Kritik an seiner brutalen Unterdrückung der Palästinenser schützt.
Nicht nur gegenüber den Juden hat Deutschland eine besondere Verantwortung, sondern auch gegenüber den Palästinensern; denn der Völkermord an den Juden hat die Einwanderung nach Palästina enorm verstärkt und die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat intensiviert.
Als Juristin möchte ich im Folgenden jedoch nicht über diese moralische Verantwortung sprechen, sondern über rechtliche Pflichten. Es ist die Verantwortung Deutschlands, seine völkerrechtliche Verpflichtungen in Bezug auf das palästinensische Volk zu respektieren. Was das konkret bedeutet, werde ich an aktuellen Beispielen erläutern. Im ersten Teil meiner Ausführungen steht Gaza im Mittelpunkt, im zweiten Teil das Westjordanland. Im letzten Teil geht es um unsere eigenen Rechte.
II.Ich beginne mit einem Fall, der Deutschland zwar nicht unmittelbar betrifft, aber auch für Deutschland von höchster Relevanz ist: Am 29.12.2023 erhob Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel. Es ging um den Vorwurf, dass Israel gegen die Völkermordkonvention verstoße. In einer Eilentscheidung vom 26.2.2024 befand der Internationale Gerichtshof, dass die Palästinenser in Gaza ein plausibles Recht haben, gegen Völkermord geschützt zu werden, und dass die reale und unmittelbare Gefahr eines irreparablen Schadens für dieses Recht bestehe.
Kurz darauf leitete Nicaragua gegen Deutschland ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof ein. Nicaragua erhob den Verwurf, dass Deutschland gegen internationale Verpflichtungen, die ihm hinsichtlich des besetzten palästinensischen Gebietes obliegen, verstoßen habe. Es stützte seinen Klageantrag hauptsächlich auf die Völkermordkonvention, die IV. Genfer Konvention, die den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten betrifft, und auf allgemeine Prinzipien des humanitären Völkerrechts. Gleichzeitig beantragte es Eilmaßnahmen zum Schutz der Rechte, deren Verletzung es geltend machte. Soweit es dabei um Waffenlieferungen an Israel ging, trug Deutschland zu seiner Verteidigung insbesondere vor, dass solche Waffenlieferungen seit November 2023 sehr stark zurückgegangen seien. Der Internationale Gerichtshof wies den Antrag Nicaraguas auf Eilmaßnahmen am 30. April 2024 ab. Keinen Erfolg hatte aber auch der Antrag Deutschlands, das Verfahren vom Register zu streichen. Der Rechtsstreit ist also weiter beim Internationalen Gerichtshof anhängig.
Der Gerichtshof fügte dieser Entscheidung eine eindringliche Belehrung über die Sach- und Rechtslage hinzu. Er schilderte zunächst die katastrophale Situation im Gaza-Streifen. Angesichts dieser Situation erinnerte er daran, dass gemäß dem gemeinsamen Artikel 1 der Genfer Konventionen alle Vertragsstaaten verpflichtet sind, die Konventionen unter allen Umständen zu achten und ihre Achtung zu gewährleisten. Aus dieser Bestimmung folge, dass jeder Vertragsstaat dieser Konventionen unabhängig davon, ob er an einem bestimmten Konflikt beteiligt ist oder nicht, verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass deren Vorgaben eingehalten werden. Eine solche Verpflichtung ergebe sich nicht nur aus den Konventionen selbst, sondern auch aus den allgemeinen Grundsätzen des humanitären Rechts, denen die Konventionen lediglich eine besondere Ausprägung verleihen. In Bezug auf die Völkermordkonvention habe der Gerichtshof festgestellt, dass die Verpflichtung zur Verhinderung der Begehung des Verbrechens des Völkermords gemäß Artikel I Vertragsstaaten, die sich der ernsten Gefahr, dass Völkermord begangen werden würde, bewusst sind oder normalerweise hätten bewusst sein müssen, verpflichtet, alle ihnen vernünftigerweise zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um den Völkermord so weit wie möglich zu verhindern. Darüber hinaus seien die Vertragsstaaten durch die Völkermordkonvention verpflichtet, keine anderen in Artikel III aufgeführten Handlungen zu begehen. Strafbar ist nach dieser Vorschrift u.a. die Teilnahme am Völkermord.
Der Internationale Gerichtshof hielt es für besonders wichtig, alle Staaten an ihre internationalen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Weitergabe von Waffen an Parteien eines bewaffneten Konflikts zu erinnern, um das Risiko zu vermeiden, dass diese Waffen zur Verletzung der oben genannten Konventionen eingesetzt werden könnten. All diese Verpflichtungen – so der Gerichtshof –obliegen Deutschland als Vertragsstaat der besagten Übereinkommen bei der Lieferung von Waffen an Israel.
Deutschland selbst hatte zu seiner Verteidigung u.a. vorgetragen, dass es durch den Vertrag über den Waffenhandel vom 2. April 2013 gebunden sei. Die englische Bezeichnung für diesen Vertrag lautet „The Arms Trade Treaty“, weshalb sich die Abkürzung ATT für diesen Vertrag eingebürgert hat.
Art. 7 ATT schreibt eine Bewertung vor. Zu bewerten ist u.a., ob die Waffen oder die zugehörigen Güter dazu verwendet werden könnten, eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts zu begehen oder zu erleichtern (Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii). Der ausführende Vertragsstaat prüft auch, ob es Maßnahmen gibt, die zur Minderung dieses Risikos ergriffen werden könnten, z.B. vertrauensbildende Maßnahmen (Abs. 2). Stellt der ausführende Vertragsstaat nach Vornahme dieser Bewertung und Prüfung der verfügbaren Maßnahmen der Risikominderung fest, dass ein überwiegendes Risiko besteht, so darf er die Ausfuhr nicht genehmigen (Abs. 3).
Bundeskanzler Scholz hat sich – Zeitungsberichten zufolge – von der israelischen Regierung im Oktober 2024 schriftlich versichern lassen, dass die von Deutschland gelieferten Waffen nicht völkerrechtswidrig eingesetzt würden. Welchen Beweiswert würden Sie selbst einer solchen Erklärung beimessen?
Zu beachten ist aber, dass es nach Art. 7 ATT nicht auf das objektive Vorliegen eines überwiegenden Risikos ankommt, sondern auf die Einschätzung des ausführenden Vertragsstaates.
Erfreulicherweise ist das deutsche Recht strikter. Nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen ist die Genehmigung u.a. zu versagen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde (§ 6 Abs. 3 Nr. 2). Dies ist bei Waffenlieferungen an Israel, sofern sie nicht rein defensiver Natur sind, der Fall. Starke Indizien sind insofern nicht nur die Eilentscheidungen des Internationalen Gerichtshofs in dem Verfahren Südafrika gegen Israel, sondern auch die Haftbefehle, die der Internationale Strafgerichtshof am 21.11.2024 gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und den früheren israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen hat. Die zuständige Vorverfahrenskammer sah hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanyahu und Gallant mindestens ab dem 8. Oktober 2023 als Mittäter gemeinsam mit anderen die strafrechtliche Verantwortung für das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung und die folgenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen: Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen. Die Kammer sah auch hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanyahu und Gallant in zwei Fällen als zivile Vorgesetzte jeweils die strafrechtliche Verantwortung für das Kriegsverbrechen der vorsätzlichen Lenkung eines Angriffs auf die Zivilbevölkerung tragen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf ein Argument eingehen, das von deutschen Politikern – und nicht nur von ihnen – immer wieder angeführt wird: Israel habe das Recht, sich zu verteidigen.
Mit diesem Argument hatte sich der Internationale Gerichtshof bereits in seinem sog. Mauergutachten vom 9.7.2004 befasst. Es ging es um die rechtlichen Konsequenzen des Baus einer Mauer auf dem besetzten palästinensischen Territorium. Der Gerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass der Bau der Mauer völkerrechtswidrig sei; Israel müsse sie zurückbauen und Schadensersatz zahlen. Den Einwand Israels, dass es ein Recht auf Selbstverteidigung habe, wies der Gerichtshof mit folgender Begründung zurück (Rn. 139): Art. 51 der UN-Charta erkenne ein Recht auf Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs eines Staates gegen einen anderen Staat an. Israel behaupte jedoch nicht, dass die Angriffe gegen das Land einem ausländischen Staat zuzuschreiben seien. Israel könne sich auch nicht auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats berufen, die im Zusammenhang mit dem Angriff auf die USA am 9.11.2001 gefasst worden waren; denn die Bedrohung komme nicht von außerhalb, sondern aus dem besetzten palästinensischen Gebiet, über das Israel die Kontrolle ausübe.
Zu berücksichtigen ist auch, dass die UN-Generalversammlung in ihrer Resolution A/RES/38/17 vom 22.11.1983 die Rechtmäßigkeit des Kampfes von Völkern um Unabhängigkeit, territoriale Integrität, nationale Einheit und Befreiung von Kolonial- und Fremdherrschaft, Apartheid und fremder Besetzung mit allen verfügbaren Mitteln, einschließlich des bewaffneten Kampfes, bekräftigt hat (Ziff. 2). Sie nannte in diesem Zusammenhang ausdrücklich das palästinensische Volk (Ziff. 3). Natürlich müssen auch bei der Ausübung dieses Widerstandsrechts die Grenzen, die das humanitäre Völkerrecht setzt, beachtet werden.
Norman Paech geht in dem kürzlich erschienenen Buch „Völkermord in Gaza – Eine politische und rechtliche Analyse“, das er gemeinsam mit Helga Baumgarten verfasste, von dem Recht auf Widerstand aus. Terrorakte seien strafbar. Sie würden das Recht auf Widerstand aber nicht aufheben, es sei denn der Terror bestimme den Widerstand in unverhältnismäßiger Weise (S. 180). Wegen der hohen Zahl der zivilen Opfer am 7. Oktober 2023 gesteht Paech Israel für die Anfangsphase des derzeitigen Gazakrieges ein Selbstverteidigungsrecht zu (S. 184). Es sei jedoch spätestens durch die Resolution des Sicherheitsrates vom 25.3.2024 erloschen; denn nach Art. 51 der UN-Charta besteht ein Selbstverteidigungsrecht nur, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat (S. 184). Es habe jedoch schon vorher gravierende Entwicklungen des Krieges gegeben, die weit über die Selbstverteidigung hinausgehen (S.184).
In der von Paech angeführten Resolution heißt es:
„Der Sicherheitsrat (…)
1. verlangt eine sofortige Waffenruhe für den Fastenmonat Ramadan, die von allen Parteien eingehalten wird und zu einer andauernden tragfähigen Waffenruhe führt, und verlangt außerdem die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie die Gewährleistung des humanitären Zugangs, damit ihre medizinischen und sonstigen humanitären Bedürfnisse erfüllt werden können, und verlangt ferner, dass die Parteien ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht im Hinblick auf alle von ihnen inhaftierten Personen nachkommen;
2. unterstreicht die dringende Notwendigkeit, den Fluss der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen auszuweiten und deren Schutz zu verstärken, und verlangt erneut die Aufhebung aller Hindernisse für die Bereitstellung humanitärer Hilfe in großem Umfang, im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht sowie den Resolutionen 2712 (2023) und 2720 (2023); (…)“
Am 5.4.2024 forderte der UN-Menschenrechtsrat ein Waffenembargo gegen Israel, um weitere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu verhindern. Wann zieht Deutschland endlich diese Konsequenz?
Zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Deutschland zu beachten hat, gehören auch die Verpflichtungen aus dem Römischen Statut, durch das der Internationale Strafgerichtshof errichtet worden ist. Deutschland zählt zu den Vertragsstaaten dieses Statuts. Hinsichtlich der Vollstreckung von Haftbefehlen ist der Internationale Strafgerichtshof auf die Kooperation der Vertragsstaaten angewiesen. Die Kooperationspflicht der Vertragsstaaten entfällt nicht, wenn es sich um hochrangige Regierungsvertreter handelt. Die persönliche Immunität, die diese grundsätzlich genießen, hindert nämlich ihre Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof nicht. Diese Rechtsauffassung vertritt nicht nur der Internationale Strafgerichtshof, sondern auch der Internationale Gerichtshof und damit das höchste Rechtsprechungsorgan der UNO.
Die Vertragsstaaten des Römischen Statuts müssen sofort Maßnahmen zur Festnahme von Netanyahu und Gallant ergreifen, wenn der Internationale Strafgerichtshof sie auf der Basis der Haftbefehle darum ersucht.
Erstaunlicherweise hat der künftige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Friedrich Merz erklärt, er habe Netanyahu zugesagt, „dass wir Mittel und Wege finden werden, dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er festgenommen worden ist“. Macht Merz diese Ankündigung wahr, auch wenn ein Ersuchen des Internationalen Gerichtshofs vorliegt, werden die Konsequenzen dieselben sein wie im Falle der Nicht-Festnahme Putins durch die Mongolei: Feststellung des Internationalen Strafgerichtshofs, dass Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach dem Römischen Statut nicht nachgekommen ist und Verweisung der Angelegenheit an die Versammlung der 125 Vertragsstaaten.
III.Während bei meinen bisherigen Ausführungen Gaza im Fokus stand, geht es im Folgenden in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, um das Westjordanland.
Am 19.7.2024 erstattete der Internationale Gerichtshof auf Antrag der UNO-Generalversammlung ein Gutachten zu den rechtlichen Konsequenzen, die sich aus den Politiken und dem Verhalten Israels im besetzten palästinensischen Gebiet einschließlich Jerusalem ergeben. In zeitlicher Hinsicht beschränkte sich der Gerichtshof darauf, das Verhalten Israels bis zu seiner Reaktion auf den Angriff der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen am 7.10.2023 zu untersuchen (Rn. 81). Ausführlich begründete der Gerichtshof, warum auch Gaza besetztes palästinensisches Gebiet ist (Rn. 88 f.)
Zentrale Pfeiler des Gutachtens sind das Verbot der gewaltsamen Aneignung von Gebieten und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes. Die von einigen Beteiligten angeführten Oslo-Abkommen würden Israel nicht erlauben, Teile des besetzten palästinensischen Gebietes zu annektieren, um seinen Sicherheitsbedürfnissen nachzukommen. Sie würden Israel auch nicht ermächtigen, eine ständige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet für solche Sicherheitsbedürfnisse aufrechtzuerhalten (Rn. 263).
Ein großer Teil des Gutachtens ist der Analyse bestimmter Verhaltensweisen Israels im besetzten palästinensischen Gebiet gewidmet, die der Internationale Gerichtshof jeweils als völkerrechtswidrig einstuft. Unter der Überschrift „Siedlungspolitik“ (Rn. 111 ff.) behandelt er die Themen: Transfer der eigenen Zivilbevölkerung, Konfiszierung oder Beschlagnahmung von Land, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Ausweitung des Anwendungsbereichs israelischen Rechts, Zwangsumsiedlung der palästinensischen Bevölkerung und Gewalt gegen Palästinenser. Der Gerichtshof stellt insoweit diverse Verstöße gegen das Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs und die IV. Genfer Konvention fest. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Politiken und Praktiken Israels einer Annexion großer Teile des besetzten palästinensischen Gebiets gleichkommen (Rn. 173).
Ein eigenes Kapitel behandelt die Frage diskriminierender Rechtsvorschriften und Maßnahmen im besetzten palästinensischen Gebiet (Rn. 180 ff.). Hier geht es um die Politik der Aufenthaltsgenehmigung, Einschränkungen der Freizügigkeit und den Abriss von Immobilien, sei es als Strafmaßnahme oder wegen fehlender Baugenehmigung. Der Gerichtshof konstatierte, dass das Regime umfassender Beschränkungen, das Israel den Palästinensern im besetzten palästinensischen Gebiet auferlegt, eine systematische Diskriminierung unter anderem aus Gründen der Ethnie, der Religion oder der ethnischen Herkunft darstellt, die gegen Artikel 2 Absatz 1 und 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Artikel 2 Absatz 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und Artikel 2 des Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung verstößt (Rn. 223). Der Gerichtshof prüfte auch, ob ein Verstoß gegen Art. 3 des letztgenannten Übereinkommens vorliegt. Diese Vorschrift lautet:
„Die Vertragsstaaten verurteilen insbesondere die Segregation und die Apartheid und verpflichten sich, alle derartigen Praktiken in ihren Hoheitsgebieten zu verhindern, zu verbieten und auszumerzen.“
Hierzu stellte der Internationale Gerichtshof fest, dass die israelischen Rechtsvorschriften und Maßnahmen im Westjordanland und in Ostjerusalem eine nahezu vollständige Trennung zwischen der Bevölkerungsgruppe der Siedler und der der Palästinenser bewirken und dazu dienen, diese aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund war er der Ansicht, dass auch ein Verstoß gegen Art. 3 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von rassischer Diskriminierung vorliegt, wobei er offenließ, welche der beiden Varianten – Segregation oder Apartheid – erfüllt ist.
Der Internationale Gerichtshof kam bezüglich des Staates Israel und der Drittstaaten (also der Staaten außer Israel) zu folgenden Ergebnissen (Rn. 285):
– Die fortgesetzte Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ist rechtswidrig.
– Der Staat Israel ist verpflichtet, seine rechtswidrige Anwesenheit im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden.
– Der Staat Israel ist verpflichtet, alle neuen Siedlungsaktivitäten unverzüglich einzustellen und alle Siedler aus dem besetzten palästinensischen Gebiet zu evakuieren.
– Der Staat Israel ist verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der allen betroffenen natürlichen oder juristischen Personen im besetzten palästinensischen Gebiet entstanden ist.
– Alle Staaten sind verpflichtet, die Situation, die sich aus der rechtswidrigen Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ergibt, nicht als rechtmäßig anzuerkennen und keine Hilfe oder Unterstützung zur Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch die fortgesetzte Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet entstanden ist.
In zwei Randziffern seines Gutachtens (Rn. 278 f.) führte der Internationale Gerichtshof genauer aus, welche Verpflichtungen den Drittstaaten obliegen. Der Gerichtshof erklärte insbesondere, dass die UNO-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in ihren Beziehungen zu Israel zwischen dem Gebiet des Staates Israel und dem seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiet zu unterscheiden. Die Pflicht umfasse u.a. die Verpflichtung
- in allen Fällen, in denen Israel vorgibt, im Namen des besetzten palästinensischen Gebiets oder eines Teils davon in Angelegenheiten, die das besetzte palästinensische Gebiet oder einen Teil seines Gebiets betreffen, zu handeln, auf vertragliche Beziehungen mit Israel zu verzichten;
- darauf zu verzichten, mit Israel Wirtschafts- oder Handelsbeziehungen in Bezug auf das besetzte palästinensische Gebiet oder Teile davon einzugehen, die seine rechtswidrige Präsenz in dem Gebiet festigen könnten;
- bei der Einrichtung und Aufrechterhaltung diplomatischer Missionen in Israel jegliche Anerkennung seiner illegalen Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet zu unterlassen
- und Schritte zu unternehmen, um Handels- oder Investitionsbeziehungen zu verhindern, die zur Aufrechterhaltung der illegalen Situation, die Israel im besetzten palästinensischen Gebiet geschaffen hat, beitragen.
Die UNO-Generalversammlung begrüßte das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in einer Resolution vom 13.9.2024. Sie forderte in dieser Resolution insbesondere, dass Israel seine unrechtmäßige Anwesenheit in den besetzten Gebieten binnen 12 Monaten beendet. An die Staaten richtete sie u.a. diese Aufforderung (Ziff. 5):
„(a) Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Staatsangehörigen und Unternehmen und Einrichtungen, die ihrer Gerichtsbarkeit unterliegen, sowie ihre Behörden nicht in einer Weise handeln, die eine Anerkennung, Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der durch die illegale Anwesenheit Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten geschaffenen Situation mit sich bringen würde;
(b) Maßnahmen zu ergreifen, um die Einfuhr von Produkten mit Ursprung in den israelischen Siedlungen sowie die Lieferung oder den Transfer von Waffen, Munition und damit verbundener Ausrüstung an die Besatzungsmacht Israel in allen Fällen, in denen der begründete Verdacht besteht, dass sie in den besetzten palästinensischen Gebieten verwendet werden könnten, einzustellen (Hervorh. d. Verf.);
(c) Sanktionen, einschließlich Reiseverbote und Einfrieren von Vermögenswerten, gegen natürliche und juristische Personen zu verhängen, die an der Aufrechterhaltung der unrechtmäßigen Präsenz Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten beteiligt sind, auch im Zusammenhang mit der Gewalt von Siedlern;
(d) die Bemühungen um Rechenschaftspflicht für alle Opfer zu unterstützen;“
IV.Völkerrechtliche Verpflichtungen, die Deutschland im Zusammenhang mit dem palästinensischen Volk zu beachten hat, ergeben sich auch aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Dieser Pakt verbürgt u.a. die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit. Aus Zeitgründen werde ich auf die Rechte aus diesem Pakt nur unter einem Aspekt eingehen, nämlich dem Umgang mit der BDS-Bewegung in Deutschland. BDS ist die Abkürzung für Boycott, Divestment, Sanctions – auf Deutsch Boykott, Desinvestition, Sanktionen. Es handelt sich um eine von Palästinensern initiierte internationale Kampagne.
Sie wurde am 9. Juli 2005 durch einen Aufruf palästinensischer Nichtregierungsorganisationen ins Leben gerufen, ein Jahr nach dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, in dem festgestellt wurde, dass „der Bau der Mauer, die von der Besatzungsmacht Israel im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich in und um Ost-Jerusalem, errichtet wird, und das damit verbundene Regime gegen das Völkerrecht verstoßen“. Der „Aufruf zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel, bis es das Völkerrecht und die universellen Prinzipien der Menschenrechte einhält“ endet mit diesen Worten:
„… Inspiriert durch den Kampf der Südafrikaner gegen die Apartheid und im Geiste der internationalen Solidarität, der moralischen Folgerichtigkeit und des Widerstands gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung;
rufen wir, die Vertreter der palästinensischen Zivilgesellschaft, die internationalen Organisationen der Zivilgesellschaft und die Menschen mit Gewissen in der ganzen Welt dazu auf, einen umfassenden Boykott gegen Israel zu verhängen und Desinvestitionsinitiativen durchzuführen, ähnlich denen, die in der Zeit der Apartheid auf Südafrika angewendet wurden. Wir appellieren an Sie, Druck auf Ihre jeweiligen Staaten auszuüben, um Embargos und Sanktionen gegen Israel zu verhängen. Wir fordern auch verantwortungsbewusste Israelis auf, diesen Aufruf um der Gerechtigkeit und eines echten Friedens willen zu unterstützen.
Diese gewaltfreien Strafmaßnahmen sollten so lange aufrechterhalten werden, bis Israel seiner Verpflichtung nachkommt, das unveräußerliche Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung anzuerkennen und die Gebote des Völkerrechts vollständig zu erfüllen, indem es
1. die Besetzung und Kolonisierung aller arabischen Gebiete beendet und die Mauer abbaut;
2. das Grundrecht der arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf volle Gleichberechtigung anerkennt und
3. das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Häuser und zu ihrem Besitz, wie in der UN-Resolution 194 festgelegt, respektiert, schützt und fördert.“
Aus dem Titel und den einleitenden Worten dieses Aufrufs geht klar hervor, dass BDS nicht auf die Beseitigung Israels abzielt, sondern auf die Einhaltung des Völkerrechts durch Israel. Was der Ausdruck „alle arabischen Länder“ bedeutet, ergibt sich aus einer Erklärung des Gründungsmitgliedes der BDS-Bewegung Omar Barghouti in seinem Buch „BDS: Boycott, Divestment, Sanctions – The Global Struggle for Palestinian Rights“ (2011): „BDS fordert die Beendigung der militärischen Besetzung des Gazastreifens, des Westjordanlandes (einschließlich Ost-Jerusalem) und anderer arabischer Gebiete im Libanon und in Syrien durch Israel im Jahr 1967.“ (S. 49)
BDS liegt nicht auf der gleichen Linie wie der vom Naziregime organisierte Boykott „Kauft nicht bei Juden“. Die Nazis verletzten die Menschenrechte der jüdischen Bevölkerung. BDS richtet sich gegen eine Regierungspolitik, die Menschenrechte verletzt.
Der Deutsche Bundestag stuft die BDS-Bewegung als antisemitisch ein und bekämpft sie mit immer drastischeren Resolutionen. Am 17.5.2019 verabschiedete er die Resolution „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“. Darin wurden Regierungsstellen sowie deutsche Länder, Städte und Gemeinden und andere öffentliche Akteure auffordert, Projekte oder Veranstaltungen, die von der BDS-Bewegung oder von Gruppen, die deren Ziele verfolgen, organisiert werden, finanzielle Unterstützung, Räumlichkeiten oder Einrichtungen zu verweigern. Am 7. November 2024 bekräftigte der Deutsche Bundestag diesen Beschluss in seiner Resolution „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Er forderte die Bundesregierung auf, ihre Aktivitäten gegen die BDS-Bewegung zu verstärken. Dazu gehöre auch die Prüfung eines Tätigkeits- oder Organisationsverbots der BDS-Bewegung in Deutschland. Der nächste Schritt war die Bundestagsresolution „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ vom 29.1.2025. Es hieß darin zu BDS und ähnlichen Bewegungen, dass ihre Unterstützerinnen und Unterstützer in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben dürfen. Hinzu kommt, dass der Verfassungsschutzbericht 2023 des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat BDS als „extremistischen Verdachtsfall“ einstufte (S. 286 f.). Das bedeutet, dass BDS vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird.
Schon der BDS-Beschluss des Jahres 2019 führte dazu, dass sich fünf vom Menschenrechtsrat der UNO beauftragte Sonderberichterstatter an den damaligen Bundesaußenminister Heiko Maas wandten und die Unvereinbarkeit dieses Beschlusses mit den Rechten, die durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert werden, beanstandeten. Es hieß in diesem Schreiben: „Boykotte werden seit langem als eine legitime Form der politischen Meinungsäußerung im Rahmen der internationalen Menschenrechtsnormen verstanden.“ Am 18. September 2024 appellierten 39 Experten der UNO an die Staaten, das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 zu befolgen. Sie forderten u.a., „Gesetze und Richtlinien aufzuheben, die das Eintreten für das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung und den gewaltlosen Widerstand gegen die israelische Besatzung und Apartheid, einschließlich der Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), kriminalisieren und bestrafen.“
V.Lassen Sie mich mit einem weiteren Zitat aus diesem Appell schließen: „Angesichts der unverantwortlichen Untätigkeit der meisten Regierungen liegt es nun an zivilgesellschaftlichen Organisationen und nationalen Menschenrechtsinstitutionen, aktiv zu werden und ihre Staaten zur Einhaltung des wegweisenden Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs aufzufordern.“

Bundespräsident Steinmeier und der israelische Präsident Herzog in Be’eri, neben Gaza. Quelle: 2023, Wikipedia.
Forderungen an die deutsche Politik
1. Antisemitismus-Definition der Jerusalemer Erklärung statt IHRA-Definition von Antisemitismus
Die Bundesregierung hat mit einem Beschluss des Kabinetts vom 20. September 2017 die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zur Kenntnis genommen und entschieden, dass diese Definition „politisch indossiert werden soll“. In der Praxis schützt die völlig konturlose IHRA-Definition von Antisemitismus in erster Linie den Staat Israel vor Kritik an seiner brutalen Unterdrückung der Palästinenser. Sie wird häufig gegen Juden verwandt, die die Politik Israels gegenüber den Palästinensern nicht billigen.
Anders als die IHRA-Definition genügt die Definition von Antisemitismus nach der Jerusalemer Erklärung den Anforderungen, die an rechtwissenschaftliches Definieren zu stellen sind. Eines ihrer Ziele ist, Räume für eine offene Debatte über die umstrittene Frage der Zukunft Israels/Palästinas zu wahren. Dies ist dringend nötig. Die Antisemitismus-Definition der Jerusalemer Erklärung sollte deshalb bei der Bekämpfung von Antisemitismus statt der IHRA-Definition zugrunde gelegt werden.
2. Festnahme von Netanyahu
Am 21.11.2024 erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und den früheren israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Die zuständige Vorverfahrenskammer sah hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanyahu und Gallant mindestens ab dem 8. Oktober 2023 als Mittäter gemeinsam mit anderen die strafrechtliche Verantwortung für das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung und die folgenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen: Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen. Die Kammer sah auch hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanyahu und Gallant in zwei Fällen als zivile Vorgesetzte jeweils die strafrechtliche Verantwortung für das Kriegsverbrechen der vorsätzlichen Lenkung eines Angriffs auf die Zivilbevölkerung tragen.
Die Vertragsstaaten des Römischen Statuts, zu denen auch Deutschland gehört, müssen sofort Maßnahmen zur Festnahme von Netanyahu und Gallant ergreifen, wenn der Internationale Strafgerichtshof sie auf der Basis der Haftbefehle darum ersucht. Erstaunlicherweise hat Friedrich Merz nach der Bundestagswahl 2025 erklärt, er habe Netanyahu zugesagt, „dass wir Mittel und Wege finden werden, dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er festgenommen worden ist“. Kommt Deutschland einem Festnahmeersuchen des Internationalen Strafgerichtshofs nicht nach, ist dies jedoch ein gravierender Völkerrechtsverstoß. Wie in der Präambel des Römischen Statuts ausgeführt wird, wurde der Internationale Strafgerichtshof gegründet, „damit die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht ungestraft bleiben“.
3. Waffenembargo gegen Israel
Die UNO-Generalversammlung fordert in ihrer Resolution vom 13.9.2024, Maßnahmen zu ergreifen, um die Lieferung oder den Transfer von Waffen, Munition und damit verbundener Ausrüstung an die Besatzungsmacht Israel in allen Fällen, in denen der begründete Verdacht besteht, dass sie in den besetzten palästinensischen Gebieten verwendet werden könnten, einzustellen.
Auch nach deutschen Recht ist ein Waffenembargo gegenüber Israel geboten. Nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen ist eine nach diesem Gesetz vorgeschriebene Genehmigung u.a. zu versagen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde (§ 6 Abs. 3 Nr. 2). Dies ist bei Waffenlieferungen an Israel, sofern sie nicht rein defensiver Natur sind, der Fall. Starke Indizien sind insoweit nicht nur die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant, sondern auch die Eilentscheidungen des Internationalen Gerichtshof in dem Verfahren Südafrika gegen Israel. Schon in seiner Eilentscheidung vom 26.2.2024 befand der Internationale Gerichtshof, dass die Palästinenser in Gaza ein plausibles Recht haben, gegen Völkermord geschützt zu werden, und dass die reale und unmittelbare Gefahr eines irreparablen Schadens für dieses Recht bestehe. Die damals bereits dramatische Situation im Gazastreifen hat sich seither weiter zugespitzt. Abgesehen davon darf auch die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen, die unter 4. behandelt werden, nicht verletzt oder gefährdet werden.
4. Keine Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der durch die illegale Anwesenheit Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten geschaffenen Situation
Am 19.7.2024 erstattete der Internationale Gerichtshof auf Antrag der UNO-Generalversammlung ein Gutachten zu den rechtlichen Konsequenzen, die sich aus den Politiken und dem Verhalten Israels im besetzten palästinensischen Gebiet einschließlich Jerusalem ergeben. Er bewertete zahlreiche Verhaltensweisen Israels als völkerrechtswidrig und gelangte zu dem Schluss, dass die fortgesetzte Anwesenheit Israels im besetzten palästinensischen Gebiet rechtswidrig ist und so schnell wie möglich beendet werden muss. Alle Staaten seien verpflichtet, keine Hilfe oder Unterstützung zur Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch diese rechtswidrige Anwesenheit entstanden ist.
Die UNO-Generalversammlung forderte die Staaten in ihrer Resolution vom 13.9.2024 zu diesem Gutachten u.a. auf, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Behörden nicht in einer Weise handeln, die eine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der durch die illegale Anwesenheit Israels im besetzten palästinensischen Gebiet geschaffenen Situation mit sich bringen würde.
Dies bedeutet beispielsweise, dass Deutschland den Jüdischen Nationalfonds e.V., der Mittel für den Jüdischen Nationalfonds in Israel beschafft, nicht durch eine Steuervergünstigung fördern darf; denn die Aktivitäten des israelischen Jüdischen Nationalfonds sind zentraler Bestandteil der völkerrechtswidrigen Praktiken Israels in der Westbank und in Ostjerusalem.
5. Maßnahmen zu Verhinderung der Einfuhr von Produkten mit Ursprung in den israelischen Siedlungen im besetzten palästinensischen Gebiet
In seinem Gutachten vom 19.7.2024 erläuterte der Gerichtshof auch, dass die UNO-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in ihren Beziehungen zwischen dem Gebiet des Staates Israel und dem seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiet zu unterscheiden. Diese Pflicht umfasse u.a. die Pflicht, Schritte zu unternehmen, um Handels- oder Investitionsbeziehungen zu verhindern, die zur Aufrechterhaltung der illegalen Situation, die Israel im besetzten palästinensischen Gebiet geschaffen hat, beitragen. Die UNO-Generalversammlung forderte die UNO-Mitgliedstaaten deshalb in ihrer Resolution vom 13.9.2024 dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Einfuhr von Produkten mit Ursprung in den israelischen Siedlungen einzustellen.
Modelle für eine Gesetzgebung, die diesem Ziel entspricht, gibt es bereits. So hat eine norwegische Vereinigung von Rechtsexperten und Organisationen namens „Verteidigt das Völkerrecht“ (Forsvar Folkeretten) einen Vorschlag für ein norwegisches Gesetz zum Verbot von Waren und Dienstleistungen aus und Investitionen in unrechtmäßig besetzte und/oder annektierte Gebieten vorgelegt. In Irland wurde mit der Control of Economic Activities (Occupied Territories) Bill sogar schon 2018 ein Schritt in dieser Richtung unternommen.
6. Beendigung der Repression gegenüber der BDS-Bewegung
Die BDS-Bewegung geht auf den „Aufruf zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel, bis es das Völkerrecht und die universellen Prinzipien der Menschenrechte einhält“ aus dem Jahr 2005 zurück. BDS richtet sich nicht gegen die Existenz Israels und liegt auch nicht auf der gleichen Linie wie der vom Naziregime organisierte Boykott „Kauft nicht bei Juden“. Die Nazis verletzten die Menschenrechte der jüdischen Bevölkerung. BDS richtet sich gegen eine Regierungspolitik, die die Menschenrechte verletzt.
Der Deutsche Bundestag stuft die BDS-Bewegung als antisemitisch ein und bekämpft sie mit immer drastischeren Resolutionen (17.5.2019, 7.11.2024, 29.1.2025). Schon der BDS-Beschluss des Jahres 2019 führte dazu, dass sich fünf vom Menschenrechtsrat der UNO beauftragte Sonderberichterstatter an den damaligen Bundesaußenminister Heiko Maas wandten und die Unvereinbarkeit dieses Beschlusses mit den Rechten, die durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert werden, beanstandeten. In einem Appell vom 8. September 2024, in dem davor gewarnt wurde, dass die internationale Ordnung auf des Messers Schneide steht, forderten 39 Experten der UNO u.a., „Gesetze und Richtlinien aufzuheben, die das Eintreten für das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung und den gewaltlosen Widerstand gegen die israelische Besatzung und Apartheid, einschließlich der Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), kriminalisieren und bestrafen.“
Auf derselben Linie liegen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Badassi u.a. gegen Frankreich vom 11.6.2020 (Applications no. 15271/1615271/16 and 6 others) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.1.2022 (8 C 35/20), die jeweils gegen BDS gerichtete Maßnahmen als Verletzung der Meinungsfreiheit einstuften.
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Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Erfreulich“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!
BA350 Erfreulich
Zehntausende protestieren in Den Haag gegen Israels Krieg in Gaza
In den Niederlanden haben zehntausende Menschen gegen Israels Vorgehen im Gaza-Krieg demonstriert. Die Demonstranten forderten von der niederländischen Regierung, Israel mit konkreten Konsequenzen zu drohen. Organisiert wurde die Demonstration von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und propalästinensischen Gruppen. Niederländische Medien berichteten von bis zu 70.000 Teilnehmern. Die Organisatoren sprachen von 100.000 Demonstranten und damit der größten Kundgebung seit 20 Jahren.
Zuvor hatten die Niederlande bereits von der EU einen härteren Kurs gegenüber Israel gefordert. Der niederländische Außenminister Veldkamp sagte, Israel verletze mit der Blockade von humanitärer Hilfe für die Menschen im Gazastreifen demokratische Prinzipien und Menschenrechte. https://www.deutschlandfunk.de/zehntausende-protestieren-in-den-haag-gegen-israels-krieg-in-gaza-100.html
Über 500.000 Menschen marschieren in London zum 77. Jahrestag der Nakba und fordern Maßnahmen für Gaza
Am 17. Mai 2025 erlebte London eine beispiellose Beteiligung an einer Demonstration, als über 500.000 Menschen durch die Stadt marschierten, um den 77. Jahrestag der Nakba zu begehen und ein Ende dessen zu fordern, was sie als Völkermord Israels in Gaza bezeichnen. Die von der Palestine Solidarity Campaign (PSC) organisierte und von Gruppen wie der Stop the War Coalition unterstützte Demonstration stellte die unerschütterliche Unterstützung der britischen Regierung für Israel direkt in Frage und deckte eine eklatante Diskrepanz zwischen dem Willen des britischen Volkes und den Handlungen seiner gewählten Vertreter auf.
https://s2jnews.com/500000-people-march-in-london-to-mark-77th-nakba-anniversary-demanding-action-on-gaza/
kontertext: Friedenskongress im Krieg
Felix Schneider / 19.05.2025 In Jerusalem trafen sich Israelis und Palästinenser – vereint in der Ablehnung von Krieg, Kriegsverbrechen und Völkermord.
Auf fünftausend schätzt «The Jerusalem Post» die Zahl der Leute, die sich am 9. Mai im «Jerusalem International Convention Center» trafen, zusammengebracht von «It’s Time!», einer Koalition aus über 60 jüdischen und arabischen Friedens- und Gemeinschaftsinitiativen, unterstützt vom New Israel Fund. Der vielstündige Kongress, der auf einen Tag mit kulturellen Interventionen folgte, bestand aus zahlreichen Reden, Diskussionsrunden, Filmen, Grußadressen, Musikevents usw. und zeigte die Breite der Bewegung.
Man sah und hörte alte Aschkenasim, kriegsdienstverweigernde Reservisten, palästinensische und israelische Frauen, Angehörige von Opfern des 7. Oktober und der israelischen Gewalt, Knesset-Abgeordnete, blutjunge Friedensfreaks. Maoz Inon, dessen Eltern am 7. Oktober getötet wurden, und Aziz Abu Sarah, dessen Bruder nach seiner Entlassung aus einem israelischen Gefängnis an inneren Verletzungen starb, betonten gemeinsam auf der Bühne, dass Rache Israelis und Palästinenser dem Frieden nicht näherbringe. «Gaza is Palestinian; it’s not Israeli!», rief der Ex-Premier Ehud Olmert. «It has to be part of the Palestinian state. »
https://www.infosperber.ch/politik/kontertext-friedenskongress-im-krieg/
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