Für Georg Büchner und seine Aktions-Gruppe: “Wie gerne zög ich mich zurück- ins kleine Glück!”

Notwendige Vorbemerkung:
dieser Text ist eine Antwort auf  häufige Kritiken an meiner Arbeit – denn ich bekomme nicht am laufenden Band Literaturpreise von streikenden Belegschaften verliehen , wie kürzlich von der erfolgreich warnstreikenden ABB-Belegschaft in Alzenau (siehe:

Die Belegschaft von ABB- Alzenau hat mir einen Literaturpreis verliehen und ich könnte trotz der ABBwicklung vor Freude heulen

Und wie lautet jetzt die Kritik: “Schreib doch nicht immer wieder diese negativen Sachen, du Weltverbesserer, …”  (logo, für meinen WeltKinderChor im sozialen Brennpunkt Hanau-Lamboy habe ich mit den Kids zusammen auch schöne Lieder geschrieben, zum Geburtstag, allen möglichen Festen, zum Mond, der Sonne und den Sternen und dem Wald und auch dem kleinen Glück in der ganzen Scheiße – ich will sie ja nicht mit dem totschlagen, was sie eh fast schon umbringt.
Das Tralala für Erwachsene machen Andere, manchmal mache ich es auch.  Davon habe ich auch Stoff für einige Bücher in der Konserve. z.B. meine GeblödelDichte … Aber mein Part ist das nicht.

Wie gerne zög ich mich zurück
und schrieb wie andre von dem großen
puren und vom kleinen unscheinbaren Glück
von Kinderaugen
wulstgen Lippen
rauscheBärten und auch Wäldern
von grünen Wiesen schwätzgen Schwalben
Störchen und von drallen Feldern
strammen Ärschen
riesen Titten
allenthalben
diese Dichtkunst zu beherrschen
und dazu die guten Sitten
beim Erzählen hochzuhalten
von murmelklapper Mühlenbächen
vom Wein-Weck-Worscht- und Weiberzechen
und danach dieselben prellen
und auch von der hartblitzschnellen
Macht der Männerhiebe
von Männerfreund- und Kameradschaft
von stammtischrundem Gerstensaft
und von unendlich tiefer Liebe
von Heimatdunst und Fahrtendampf
vom ewigen Geschlechterkampf
von Eifersucht, Sonn, Mond und Sternen
und von der Sehnsucht nach den Fernen
wie gerne zög ich mich zurück
ins kleine Glück

nicht dass ihr glaubt,
dass ich mich
sniffend davor drücke
ins Highsein fliehe
kiffe, kokse
nein ich begnüge
mich mit einem Stück
im trocknen unter meiner Brücke
schirmüberspannten Lotterbett
der armen Poeten
und Subproleten

Ihr glaubt, ich lüge ?
Ihr bombt mich pausenlos durch eure Kriege
ihr lasst mir keine Luft zum atmen
ihr platzt mir meinen Kopf
und knebelt meine Seele
(die ich doch jedesmal verfehle
wenn ich sie entfesseln will)

wenn ich nur stotternd
in zerfetzten Sätzen
von meiner Flucht vor euch erzähle

dann sucht ihr mich
und schickt mich heim
nach Goddelau
doch wißt
ihr schickt mich dort genau
ins kleine Glück
zurück zum besten
Volksaufrührer
der Ghettos
und der Miets-Kasernen,
in Heimen und in Knästen:
“Friede den Plätzen unter den Brücken,
Friede den schimmelreitenden Betten,
den erkalteten Herden
Friede auf Erden?
Friede den Hütten!
Krieg den Palästen!”

Epi-log
(ich HaBE es schon immer gewußt!

Oder wie heißt das in diesem Weihnachtslied: shopping night, Einkaufsnacht, alles strömt, OBI lacht, das war werbung für diesen Laden als er noch Bieberhaus hieß)
wenn mir zum Broterwerb
nichts andres übrigbliebe
ja dann schriebe
ich vielleicht
auch so seicht

Für alle NichtHessen: Goddelau ist die Geburtsstadt Georg Büchners (nicht zu verwechseln mit seiner FastIncarnation Georg Füllberth, der kommt aus Breuberg/Neustadt/Odw – besser bekannt unter Veith-Pirelli oder Metzler-Reifen). In Goddelau gibt(gab?) es eine gefürchtete “Irrenanstalt”, weniger gefürchtet als die weitere hessische in Heppenheim/Bergstraße, obwohl diese katholisch geführte Anstalt ab 1933 viel weniger kooperativ im Nazi-Euthanasie-Programm mitwirkte als die protestantische Goddelauer Variante. Aber Hadamar war noch schlimmer.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

4 Gedanken zu „Für Georg Büchner und seine Aktions-Gruppe: “Wie gerne zög ich mich zurück- ins kleine Glück!”“

  1. Ja, das stimmt schon, die Welt war alles andere als ein Paradies, aber es war auch nicht die industrialisierte Hölle, die ich als Ersatzdienstleistender bei der Inneren Mission erleben durfte und bei späteren Einsätzen immer wieder – bis hin zur Lärmschutzbebauung der Autobahnen mit SeniorenCentern kurz vor dem Inkrafttreten eines neuen heimgesetzes, das den Alten etwas mehr Platz zuwies, so wie halt den Hennen in Käfighaltung auch. Ich habe in Michelstadt im Odenwald die Ausgrenzung der Deppen miterleben und mitmachen dürfen: die “Zahnradbahn”, den verwirrten Schrottsammler, die “Petronella die grellgeschminkte Schutzheilige und Nutte der Straßenkehrer … das war alles brutal aber vergleichsweise human gegenüber den rundum desinfizierten Sistierungsanstalten…. Für mich war der Ersatzdienst -auch unter den angedeutet traumatisierenden Bedingungen, (für die ich von der ev. Kirche noch Schmerzensgeld fordere) eine guite schule für meine spätere Tätigkeit in Sozialen Brennpunkten…. Und ich habe ja schon geschrieben: das war kein Idyll, sondern knallhart kalkuliert mit Kosten und Nutzen… …. ABER WIR SIND DOCH ÜBER DIESES STADIUM HINAUS, WO DAS ALLES NACH KAPITALGESETZEN FUNKTIONIEREN MUSSTE……. Der Widerstand gege die herrschenden verhältnisse ist nicht länger Idealismus sondern notwendiger Realismus.

  2. Also es soll ja wohl ein Dialog werden – mal sehen:

    Das mit den Dorfdeppen ist auch ein Stück weit “Idyllisierung”: jedenfalls im 17./18. Jahrhundert musste, wer sich “selbst nicht beistehen konnte” damit rechnen, morgens, wenn die Familie auf´s Feld fuhr, in ein Erdloch gesteckt zu werden, um dort bis abends zu hocken, “ohne etwas anstellen zu können”…

    Richtig ist, dass das “Wegtun” der “Anderen” zum sterilen Äusseren unserer Welt beitragen soll – man erlebe nur einmal in Italien oder den Niederlanden, wie selbstverständlich dort betreute Gruppen von geistig Behinderten in der Öfffentlichkeit auftreten: beim Zoobesuch, in “Freitzeitparks” und im Schwimmbad habe ich das erlebt und mich für meine eigene Distanz geschämt.

    “Man saß am Tische, er hinein; die blonden Locken hingen ihm um das bleiche Gesicht, es zuckte ihm in den Augen und um den Mund, seine Kleider waren zerrissen. Oberlin hieß ihn willkommen … ! ” (Lenz)

  3. Lieber Peter Brunner, so hatte ich mir das gewünscht mit den Reaktionen auf mein Gedicht. Dass die Büchners Reinheimer Wurzel haben, dachte ich mir schon und denke an den Stimmanteil der dortigen Linken bei den Kommunalwahlen.. Das mit den Dorfdeppen hat und hatte immer zwei Seiten, das Wegsperren ist etwas genuin deutsch-präfaschistisches. Die Dorfdeppen hatten immer ihren Platz in der Gemeinde – auch wenn sie gequält wurden von der Dorfjugend. Aber es war öffentlich und immer ist wieder jemand dazwischen gegangen und die Deppen hatten ihren Wert als Schweinehirten, Hühnerfütterer neben der Oma usw.. das war kein Idyll aber es war meist besser als die Totverwaltung der Deppen und Alten, die es heute gibt in den Verwertungs-Profit-Centern — die deppen und die Alten sind heute weg vom Fenster… und wir verlernen es mit der Anormalität zu leben.. bis wir selbst als didfunktional anormal abgeschoben werden…

  4. Also:

    hier eine ganz knappe Info zum Goddelauer Hospital:

    http://www.zspphilippshospital.de/geschichte-des-philippshospitals/

    die sogar auslässt, dass Georg Büchners Großvater Johann Georg Reuß dort Verwalter war. Sein Vater Ernst Karl Büchner war als Hospitalarzt regelmäßig dort und lernte so seine spätere Frau Caroline Luise Reuß kennen.

    Die Naziverbrechen, denen man sich dort heute durchaus stellt (z.B. mit einem unübersehbaren Gedenkstein gleich im Eingang der Anlage) sind Grund genug für die Formulierung “gefürchtete Irrenanstalt”, aber die Einrichtung aus dem 16. Jahrhundert durch den Namensgeber Philipp den Großmütigen war damals durchaus das Gegenteil: eine Einrichtung nämlich, die die “Irren” aus den enstsetzlichen Umständen der dörflichen Ignoranz immerhin in betreute Unterbringung rettete. Dazu – wenn es denn mal zugänglich ist – höchst aufschlußreiche Informationen im kleinen Museum.

    Mehr zur Familie Büchner unter http://www.geschwisterbuechner.de.

    Schöne Grüße

    Peter Brunner

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