Warum die Obrigkeit so schlecht auf Mittel-Gründau zu sprechen war & ist – früher & heute noch

liegt daran, dass im Vormärz und der demokratischen Revolution die Anträge, Beschlussvorlagen, Petitionen aus Mittel-Gründau an den hessischen Landtag wie an das Paulskirchen Parlament zu demokratisch, zu sozial, zu “aufrührerisch” waren und deshalb von den Landtags- und Parlamentspräsidenten nicht zur Beratung und Beschlussfassung zugelassen wurden.  Das oberhessische Dorf galt bei den 1848ern als “revolutionärer Vorort”. Bis auf eine Resolution mit dem Aufruf zur Rettung der demokratischen Verfassung ist kein “nur” Mittel-Gründauer Dokument mehr erhalten. Alle Anträge aus Mittel-Gründau wurden nach ihrem Eingang und der umgehenden Ablehnung sofort vernichtet. Nur aus den Ablehnungsbegründungen in der Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Dr. Christian Heldmann ist zu entnehmen, warum die Mittel-Gründauer Anträge nicht mehr vorhanden sind: sie seien zu “majestätsbeleidigend”, zu “aufrührerisch”, um überhaupt behandelt zu werden. (die Dokumente mit diesen präsidialen Urteilen über die Mittel-Gründauer Anträge hat Dr. Manfred Köhler bei den Forschungsarbeiten zur Biografie Christian Heldmanns entdeckt).

Das vom Mittel-Gründauer Demokratischen Verein mit verabschiedete WAHLMANIFEST der Oberhessischen Demokratischen Vereine muss bis heute so manchem Politiker ein Dorn im Auge sein: hier werden die “Constitutionellen” hart angegriffen, die sich als “Demokraten” haben wählen lassen, um dann auf die Seite der Monarchiefreunde zu wechseln.

 

Wahlmanifest

Der Bezirkstag der demokratischen Vereine von Oberhessen

An die Bürger der Provinz

 

Mitbürger! In wenigen Tagen werden – nach einem neuen freisinnigen Gesetz – die Wahlen zu einem neuen Landtag stattfinden, der wohl der wichtigste ist, welcher je in Darmstadt getagt hat. Denn ist auch diesem Landtag die Befugniß verweigert worden, unserem Staate eine von Grund aus neue Verfassung zu geben, so wird es doch seine Aufgabe sein, diejenigen Veränderungen der hessischen Verfassung vorzunehmen, welche die deutsche Reichsverfassung, die Grundrechte, die unveräußerlichen Rechte des Volkes vorschreiben, deren schleunigste Ausführung durch ein Edikt vom  6. März v.J., vom Großherzog auf das feierlichste versprochen worden ist.

 

Da es sich aber in den früheren Ständekammern oft und kürzlich im deutschen Parlamente ereignete, dass Männer als Wahlkandidaten versprachen, die rechte des Volkes zu schützen, später aber gerade diese Rechte, welche sie zu schützen gelobt hatten, auf das frevelntlichste mit Füßen traten; so hat der Congress der Demokratischen Vereine zu Nidda, in Übereinstimmung mit der Volkspartei in den beiden Schwesterprovinzen, dieses Manifest aufgestellt, um die Hauptgrundsätze der Volkspartei festzusetzen, deren Vertheidigung auf dem Landtage die Wahlkandidaten zu übernehmen haben. Diese Grundzüge müssen euch bei der Wahl der deputierten einzig und allein leiten, wenn ihr nicht euer und eurer nachkommen gutes recht schmachvoll veräußern und verrathen wollt.

Solche Grundsätze sind:

  1. Festhalten an der Reichsverfassung, welche die allein berechtigte, aus der wahl des souveränen Volkes hervorgegangene constituierende Nationalversammlung beschlossen hat, und die von unserer Staats-Regierung verkündet worden ist, als der gesetzlichen Grundlage, auf welcher die Neugestaltung Deutschlands im Ganzen und in seinen einzelnen Theilen erfolgen muß;  und hiernach bestimmte Verweigerung des Beitritts zu dem, von den Königen von Preußen, Hannover und Sachsen vereinbarten, sogenannten Reichsverfassungsentwurf.
  2. 2.     Vollständige Durchführung der deutschen Grundrechte, durch Aufnahme in die Verfassungsurkunde und Aufstellung derjenigen gesetzlichen Bestimmungen, welche nach dem Einführungsgesetze der gesetzgebenden Thätigkeit der Einzelstaaten vorbehalten sind.  Wir erwähnen hier unter Anderm:  Abschaffung alles Standesvorrechte, Sicherung der persönlichen Freiheit durch mögliche Einschränkung der vorbeugenden Untersuchungshaft und Feststellung  von Garantieen gegen den Mißbrauch der Amtsgewalt.
  3. Umgestaltung der hessischen Verfassung soweit es das Edikt vom 6. März, die Grundrechte und die Reichsverfassung  (§ 194) erfordern.

Hierzu ist Euch in der jetzigen Wahl Gelegenheit gegeben, versäumt Ihr diese, so werdet Ihr und Eure Kindeskinder bitter bereuen müssen, die Männer nicht gewählt zu haben, welche Muth und Fähigkeit besitzen, dem mit Riesenschritten andringenden Elend einen Damm entgegen zu setzen. – Betrachtet das Wahl-Manifest der sogenannten Constitutionellen, es enthält nur einen ehrlich, offen und unumwunden ausgesprochenen Grundsatz; Alles andere sind allgemeine Redensarten, die man so oder so, je nach Belieben deuten kann; es sind Lockspeisen, die man hinwirft um Euch zu angeln, und habt Ihr einmal angebissen, dann seyd Ihr willenlos gefangen und müßt der Angelschnur folgen, wohin es auch gehe. Nur in dem Einen sind die Herren sog. Constitutionellen ehrlich, nämlich in dem offen ausgesprochenen Abfall von der deutschen Nationalversammlung und der Reichsverfassung, der sie früher Gut und Blut zu opfern versprachen, die sie beschworen haben. Daß Kammern, nach solchen Grundsätzen und aus einer solchen Partei gewählt, nicht die geringste Bürgschaft für die Erhaltung Eurer Rechte gewähren, daß sie sogar im Gegentheil zu Eurer Unterdrückung mitstimmen und ihre Rechtfertigung dafür aus ihrem schwankenden Wahl-Manifest herleiten können, bedarf keines näheren Beweises.

Darum prüfet und wählet das Beste.

Nidda, den 16. September  1849

Der Bezirkstag der demokratischen Vereine Oberhessens

 

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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