Dorferneuerung auf Süd-Badisch: davon könnte man lernen, wenns nicht schon zu spät wäre oder ist

Aus CONTRASTE Nr. 305 (Februar 2010, Seite 13)

BOLANDO EG, BOLLSCHWEIL

»You never eat alone«
Dörfliches Genossenschaftsgasthaus fördert Gemeinschaftsgefühl

Als sich in Bollschweil bei Freiburg ein paar Dorfbewohner für den Umbau
eines leer stehenden Wohn- und Scheunenhauses in der Ortsmitte zu einem
gemeinsamen Kommunikations- und Dorftreffpunkt einsetzten und dafür eine
Genossenschaft gründeten, stießen sie bei Bürgern und Gemeinderat
erstmal auf Ablehnung. Vier Jahre später, Anfang 2010, eröffnet mit dem
»Bolando« das erste dörfliche Genossenschaftsgasthaus Deutschlands.

Michael Scheuermann, Red. Genossenschaften # Einfach war der Weg zum
Genossenschaftsgasthaus Bolando in der Gemeinde Bollschweil nicht,
erinnert sich Genossenschaftsvorsitzender Karl Dischinger. Die
kritischen Stimmen im Ort überwogen. »Viele Menschen mussten überzeugt«
und noch mehr Geld zusammengetragen werden. Doch als der Bürgermeister
des 2.000-Seelen-Dorfs 2006 den Verkauf des dafür vorgesehenen
gemeindeeigenen Gebäudes in zentraler Lage für eine Neubebauung
forcierte, war das vielen Einwohnern dann doch nicht recht. Die
Anstrengungen erweiterten sich also auch auf den Erhalt des alten
Dorfensembles, dem die hier begrabene Schriftstellerin Marie Luise
Kaschnitz in ihrer »Beschreibung eines Dorfes« 1966 ein literarisches
Denkmal setzte.

Professionalität überzeugte

Nur traute der Handvoll Bürger keiner so recht zu, genügend Geld
aufzubringen sowie Umbau und Betrieb zu meistern. Erst als sie
Finanzierungs-, Sanierungs-, Einrichtungs- und Gastronomieexperten für
die Genossenschaft gewannen, ließen sich Bürgerschaft und Gemeinderat
überzeugen, erzählt Gründungsmitglied Uschi Mangold. Vertreter des
Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands bestätigten die Rentabilität,
ein lokaler Architekt die bauliche Machbarkeit. Als sich dann noch einer
»der entschiedensten Gegner« des Projektes annahm, kam die Sache richtig
in Schwung, schwärmt die Ur-Bollschweilerin. Der kritische Dorfbewohner,
von dem keiner so recht wusste, was er beruflich tat, entpuppte sich als
Sanierungsexperte für Hotels und Gaststätten. »Ein Glücksfall«, sagt
Uschi Mangold heute, denn damit bekamen Einrichtungsplanung,
Personalberechnungen und Finanzierung Hand und Fuß. Mittlerweile hatte
der Gemeinderat den Verkauf des einstigen Ratsschreiberhauses verhindert
und die Bolando-Genossen, als einzige Bewerber, den Zuschlag für den
Umbau erhalten.

Fördernde Mitglieder

Der baden-württembergische Staatssekretär Gundolf Fleischer, mit
Wahlkreis in der Region, regte die Genossenschaftsgründung an. Acht
Mitglieder machten vor dreieinhalb Jahren den Anfang. Öffentliche
Werbung, Mund-zu-Mund-Propaganda, die Flugblattzeitung »Bollschweiler
bolando Nachrichten« und viel Überzeugungsarbeit brachten bei Einlagen
von 500 oder 1.000 Euro, schon in der Gründungsphase nahezu 200
Anteilszeichner und über 200.000 Euro zusammen. Ein Förderverein
sammelte Unterstützergelder auch unterhalb dieser Beitragsgrenzen.
Damals wurden die Projektkosten noch auf 610.000 Euro veranschlagt.

227 Mitglieder von Berlin bis Kalifornien zählt das Bolando aktuell.
Seit mit der Eröffnung der Erfolg sichtbar wird, »kommen weitere dazu«,
strahlt der engagierte Vorruheständler Dischinger. 273.500 Euro
Genossenschaftsanteile sind bis kurz vor Weihnachten gezeichnet und
48.000 Euro durch ehrenamtliche Helferleistungen erbracht. Von den
mittlerweile auf rund 750.000 Euro gestiegenen Gesamtkosten muss ein
Drittel durch Kredite finanziert werden. 200.000 Euro steuern Land und
Gemeinde aus dem Landessanierungsprogramm bei. Der Ort gibt das Gebäude
in Erbpacht auf 50 Jahre und 40 Prozent der Landessanierungsmittel,
erklärt Bürgermeister Josef Schweizer, der mittlerweile überzeugt den
»Hut vor Gemeinsinn und den Leistungen« seiner Bürger zieht. Er ist mit
drei Anteilen dabei.

Erhebliche Eigenleistung

Mitinitiator und Zimmermannsmeister Ulrich Armbruster übernahm für die
Restaurierung die Bauleitung. »Ich wusste, was man aus so einer alten
Hütte machen kann«, erzählt der Sanierungsfachmann stolz. Er kannte die
regionalen Handwerksbetriebe und dirigierte die ehrenamtlichen
Bauhelfer. »Ohne Eigenleistungen hätten wir es nicht geschafft«, räumt
er ein. Viele der beauftragten Firmen traten der Genossenschaft bei.

Stilwahrend bauten die organisierten Mitstreiter das rund 200 Jahre alte
Scheunenhaus in ein einladendes Lokal mit modernen Holz- und
Glaselementen um. Deckenbalken, Wand- und Bodenpaneele geben den
großzügigen Räumlichkeiten historisches Flair. Wochentags arbeiteten die
beauftragten Handwerker und samstags die Helfer, die für das
Schuttwegräumen und Neuverfugen des einst »nassen, modrigen« Gemäuers,
wie es Mangold auf den Punkt bringt, so manches Wochenende opferten,
während die Nachbarschaft sie verpflegte – auf eigene Kosten und in der
Freizeit.

Eröffnung zu Jahresbeginn

Für den Frühschoppen, die abendliche Stammtischrunde oder Auswärtsessen
nahmen die Bollschweiler bis zur Eröffnung des Bolando Strecken vom
Nachbarort bis ins zwölf Kilometer entfernte Freiburg in Kauf. Seit vor
Jahren das einzige Dorfgasthaus in ein Chinarestaurant umgewandelt
wurde, fehlte der Gemeinde am Schwarzwaldrand ein Treffpunkt zum
gemütlichen Beisammensitzen, Vespern und Feiern – nichts Ungewöhnliches
mehr in Deutschlands Dörfern und Schlafstädten.

Nun können hier seit Jahresbeginn Einheimische wie Gäste aus dem
Großraum Freiburg und Touristen im Siebentagebetrieb badische und
internationale Küche genießen, sich zum Sonntagsfrühstück, Kaffee,
Kuchen, zur Bierrunde oder dem badischen Viertele Wein treffen. Eine
Empore wird bei Bedarf zur Kleinkunstbühne. Im fachwerkumbauten
Obergeschoss gibt es weitere Sitzmöglichkeiten und einen abtrennbaren
Raum für Familienfeste und separate Veranstaltungen. Erschwingliche
Kochkunst von guter Qualität erwartet die Besucher. Vom Kinder- über den
Vesper- und Vorspeisenteller bis zu Tages- und Hauptgerichten, hält die
Speisekarte ein breites Angebot zu moderaten Preisen bereit. Auch
Vegetarisches, hausgemachte Kuchen und lokale Weine gibt es hier.

Vorlauf unter Realbedingungen

Ganz professionell startete das Bolando vor Weihnachten nach 14 Monaten
Umbau einen ersten Test unter Realbedingungen. »Ein befreiendes Gefühl,
dass wir jetzt hier sitzen«, freute sich Gründungsmitglied Uschi
Mangold, während sie in den ersten »Bolando-Burger« ihres Lebens beißt.
Viele Jahre haben sie und ihre Mitstreiter für das Gasthaus gekämpft, es
gemeinsam umgebaut und zwei Wochen vor dem Betriebsstart sichergestellt,
dass alles klappt.

Rund 60 ehrenamtliche Helfer, beteiligte Firmenmitarbeiter und die
Mitglieder durften im »Bolando« drei Tage lang bei gut- bis
vollbesetztem Haus ausprobieren, wie Küche und Bewirtung unter
Realbedingungen klarkommen. Mangolds Tischnachbar isst Zanderfilet,
andere Schweinsmedaillons, Pfannengemüse oder die Salatschüssel mit
Champignons, zubereitet vom frisch eingestellten französischen
Küchenchef Charles Henri Gaspard. Trotz allseitigen Beifalls ist der
gebürtige Guadeloupianer mit 30-jähriger Berufserfahrung in der Schweiz,
Frankreich und Deutschland am ersten Tag noch nicht ganz zufrieden. Bis
zur Eröffnung muss das »noch ein bisschen schneller gehen«, räumte er ein.

Bewährung im Alltag

Nach dem großen Engagement der Dorfbewohner bei Planung und Umbau
startet nun der Wirtschaftsbetrieb, der sich »am Markt behaupten muss«,
gibt Uschi Mangold zu bedenken. »Das wird eine große Umstellung.« Jetzt
haben nicht mehr nur die Mitglieder das Sagen über ihre Gaststätte,
sondern Betriebsleiterin Roswitha Ludwig, eine erfahrene Wirtin aus
Freiburg. Dafür stehen ihr fest angestellte Mitarbeiter und
Aushilfskräfte aus dem Dorf im Südbadischen zur Seite.

Genossenschaftsgaststätten sind grundsätzlich nichts Neues. In Kulmbach
gibt es beispielsweise die Kommunbräu eG mit Brauerei und Bierwirtschaft
oder in Regensburg die Musik-Kneipe Klappe eG, kommentiert der
Freiburger Volkswirt und Genossenschaftsexperte Burghard Flieger die
Gaststätteneröffnung. Dabei handele es sich um Zusammenschlüsse von
Privatpersonen, die diese demokratische Rechtsform für sich entdeckt
haben. Dass Bürger eines Dorfes eine Genossenschaft gründen, um für sich
mit so viel Einsatz ein Dorfgasthaus herzurichten, ist bislang
allerdings »einmalig in Deutschland«.

Michael Scheuermann ist freier Journalist und Südbaden-Korrespondent
einer Presseagentur. Er übernimmt professionelle Ausführung von Text-
und Bildaufträgen, PR-Texten sowie PR-Aktionen: text-buero(at)web.de.

Kasten

Die Bedeutung des Förderauftrags im genossenschaftlichen Alltag

In der jüngsten Zeit nimmt das Interesse an der genossenschaftlichen
Rechtsform deutlich spürbar zu. Einen der Gründe dafür liefert das
zentrale Merkmal der genossenschaftlichen Unternehmensform, der
Fördergedanke zum Nutzen der Mitglieder. Damit unterscheiden sich
Genossenschaften grundlegend von allen anderen Unternehmensformen.
Dieses Primat steht – und das ist das Besondere – vor den
wirtschaftlichen Zielen der genossenschaftlichen Unternehmen.

Das Institut für Genossenschaftswesen IfG an der Humboldt Universität zu
Berlin nimmt dieses aufwachende Interesse zum Anlass, zu diesem Thema
einzuladen zu einer Fachveranstaltung in Kooperation mit dem
Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V. BzFdG. Im
Anschluss daran findet die Bekanntgabe der Gewinner aus dem Wettbewerb
2009 des BzFdG statt. Thema dieses Wettbewerbs ist der
genossenschaftliche Förderauftrag und seine Bedeutung im
genossenschaftlichen Alltag und damit insbesondere die Kommunikation mit
den Mitgliedern. Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage des
BzFdG unter www.genossenschaftsgedanke.de.

Interessierte sind eingeladen. Die Veranstaltung findet statt am 19.
Februar 2010 um 12.00 Uhr im Festsaal des Institutsgebäudes der
Humboldt-Universität zu Berlin, Luisenstraße 56 in 10099 Berlin. Eine
persönliche Anmeldung unter info(at)genossenschaftsgedanke.de
erleichtert die Veranstaltungsplanung.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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